Lieber Börsianer, 

manchmal sind Kennzahlen wirklich verzwickt und führen uns als Anleger auf die falsche Fährte. Die meisten Investoren betrachten bei der Analyse einer Aktie die Entwicklung des Konzerngewinns. Das ist auch vermeintlich logisch. Schließlich, so die weit verbreitete Annahme, Gewinn ist das, was am Ende des Jahres für das Unternehmen übrigbleibt. Diese Annahme ist leider sehr oft nicht zutreffend 

Ein Beispiel: Netflix hat im vergangenen Jahr einen Gewinn in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar erzielt. Trotzdem musste man gleichzeitig einen Kapitalabfluss in Höhe von 2,85 Milliarden US-Dollar verbuchen. Ganz konkret: Das Unternehmen hat ungeachtet eines ausgewiesenen Gewinns nichts verdient, sondern stattdessen viel Geld verloren. Wie passt das zusammen? 

Im konkreten Fall ist der sog. Free Cashflow von Bedeutung. Vereinfacht gesprochen meint der Cash Flow (oder zu Deutsch Kapitalfluss) den Betrag, der einem Unternehmen im Laufe des Geschäftsjahres real in die Kassen fließt. Tatsächlich beschreibt der Cashflow die Kapitalsumme, die dem Unternehmen für Investitionen oder etwa Dividendenzahlungen zur Verfügung steht.  

Netflix hat in der Praxis folgendes Problem: Wenn man einen neuen Film abdreht für 100 Millionen US-Dollar, dann will die Filmcrew sofort bezahlt werden. Mit anderen Worten: Hier fließen sofort 100 Millionen US-Dollar aus dem Unternehmen. Diese Aufwendung kann das Internet-Unternehmen allerdings nicht sofort gewinnmindernd geltend machen. Stattdessen müssen diese Aufwendungen verteilt auf mehrere Jahre abgeschrieben werden.  

So kann Netflix im ersten Jahr lediglich 33 Millionen US-Dollar ansetzen, obwohl man 100 Millionen US-Dollar ausgegeben hat. Mittelfristig gleicht sich dieser Effekt natürlich aus. So setzt Netflix im 2. Jahr wieder 33 Millionen US-Dollar als Aufwendung an, obwohl in diesem Jahr für den bereits produzierten Film real keine Kosten mehr anfallen.  

Deshalb fallen in der Unternehmenspraxis Gewinn und Cashflow oftmals auseinander. Bei Netflix ist dieser Effekt besonders offensichtlich. Dieser Effekt ist auch kurzfristig betrachtet unbedenklich, da er logisch im Geschäftsmodell des Unternehmens begründet liegt.  

Trotzdem gilt: Irgendwann muss das US-Unternehmen auch einen realen Kapitalzufluss verbuchen. Sonst wird man irgendwann zahlungsunfähig, egal welche Steuergewinne man zuvor gemeldet hatte.  

So identifizieren Sie bereits im Vorfeld Rohrkrepierer 

Die Ertragszahl Cashflow hilft Ihnen auch, unseriöse Unternehmen bereits im Vorfeld zu identifizieren. Noch ein Praxisbeispiel: Vor wenigen Jahren zierte noch ein kleiner Telekomdienstleister namens Moxcom den deutschen Kurszettel. Auf den ersten Blick eine echte Perle. Schließlich wies das Unternehmen schöne Gewinne aus und zahlte obendrein sogar eine stattliche Dividende. Niemand kam auf die Idee, dass das Unternehmen faktisch kein Geld verdiente. 

Der Trick war einfach: Moxcom verkaufte über einige Tochterunternehmen im asiatischen Raum Telefonkontingente, also Pre-Paid-Verträge für Handynutzer. Angeblich verdienten die Moxcom-Töchter prächtig. Das Mutterunternehmen wies also hierzulande Forderungen gegen die eigenen Töchter als Gewinn aus.  

Ein Blick in den Cashflow freilich hätte sofort aufgedeckt, dass die asiatischen Töchter nie Geld in nennenswertem Umfang nach Deutschland überwiesen haben. Tatsächlich nämlich war der Cashflow negativ. Das Ende vom Lied war: Das Unternehmen meldete Insolvenz an, weil die Töchter nie wirklich gezahlt haben. Die Moxcom-Aktie gibt es heute nicht mehr. 

Deshalb mein Rat: Betrachten Sie immer neben dem Konzerngewinn auch den realen Kapitalfluss oder Free Cashflow eines Unternehmens. Erst wenn beide Kennzahlen im positiven Terrain liegen, sind Sie sicher, ein echtes Qualitätsunternehmen gefunden zu haben. Mit diesem einfachen Rat werden Sie sich künftig viele Rohrkrepierer von vorneherein ersparen.