Lieber Börsianer, 

unser Bundesfinanzminister lässt nicht locker. Olaf Scholz bastelt weiter an seinem Lieblingsprojekt, der Finanztransaktionssteuer. Gemeinsam mit dem französischen Finanzminister Le Maire hat er nun insgesamt 10 EU-Länder auf die Einführung dieser neuen Steuer eingeschworen.  

Dabei ist der Begriff Finanztransaktionssteuer mehr als nur irreführend. Faktisch handelt es sich um eine reinrassige Aktiensteuer. Denn wie aus dem entsprechenden Richtlinienvorschlag der 10 EU-Finanzminister hervorgeht, sollen ausschließlich der Kauf und Verkauf von Aktien steuerlich erfasst werden. Derivate etwa, die wesentlich für die Finanzkrise 2008 verantwortlich waren, werden ausgeklammert.  

Was ist aktuell Stand der Dinge? Künftig soll der Kauf oder Verkauf einer Aktie mit einer Steuer in Höhe von 0,2 bis 0,3 % – gerechnet auf das Volumen der Transaktion – zusätzlich belastet werden, ganz unabhängig davon, ob wir mit der entsprechenden Aktie beim Verkauf einen Gewinn oder Verlust erzielt haben.  

Neben Deutschland und Frankreich werden sich auch die beiden EU-Schwergewichte Italien und Spanien beteiligen. Für die Leser in Österreich: Auch Wien ist mit von der Partie. Von den wichtigen EU-Länder sind derzeit nur die Skandinavier und die Niederlande außen vor.  

Damit wird die neue Steuer rund 90 % der EU-europäischen Standardaktien erfassen. Dabei spielt es keine Rolle, an welchem Börsenplatz Sie diese Aktien erwerben werden. Also, eine Vermeidung dieser Steuer dürfte in der Praxis für den Privatanleger unmöglich sein.  

Stand heute werden US-Aktien von der Steuer nicht betroffen sein. Mittelfristig wird dies zu einem erheblichen Kapitalabfluss aus der EU beitragen. Die Wall Street und auch Donald Trump freuen sich jetzt schon über das frische Kapital aus Europa. Ist das wirklich der Plan, Herr Scholz?  

Massive Attacke auf die Aktienkultur und auf unsere Altersvorsorge   

Einfältige Zeitgenossen sind der Meinung, dass eine Aktiensteuer von 0,2 oder 0,3 % verkraftbar ist. Gerechnet auf eine 1.000-Euro-Transaktion würden diese 2 oder 3 Euro pro 1.000 Euro Handelsvolumen vor allem langfristig kaum ins Gewicht fallen.  

Das kann man so sehen. Ich mache freilich eine andere Rechnung auf. 2009 führte man die Abgeltungssteuer ein und nahm uns so auf einen Schlag 26,375 % der Rendite aus Kursgewinnen weg. Zur Erinnerung: Zuvor waren diese Gewinne nach einer einjährigen Haltedauer komplett steuerfrei. Das war ein ganz massiver Angriff auf diejenigen unter uns, die sich eigenbestimmt eine Altersvorsorge aufbauen möchten oder müssen.  

Der zweite Streich folgte 2018: Das Investmentsteuergesetze brachte massive Nachteile für Fondsanleger. So wurde etwa die Steuerfreiheit für Altbestände eingeschränkt. Daneben wurde dieser dubiose steuerliche Vorabzug für Dividenden und Zinsen aus Fondsvermögen eingeführt. Die Regelung wurde so kompliziert und bürokratisch gestaltet, dass sie selbst Steuerberater hierzulande nicht verstehen.   

Und jetzt der dritte Streich in Form der neuen Aktiensteuer! Aus einem vertraulichen Papier des Berliner Finanzministeriums geht hervor, dass die neue Steuer Einnahmen in Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro bringen wird. Aber nicht für Deutschland, sondern für alle 10 teilnehmenden EU-Länder zusammen. Nach dem bisher vorläufig vereinbarten internen Verteilungsschlüssel wird der deutsche Fiskus aus diesem Topf rund 625 Millionen Euro erhalten. Slowenien etwa kommt auf neue Einnahmen in Höhe von rund 9 Millionen Euro.  

Berlin setzt neue Steuerspirale für Aktionäre in Gang   

Diese Frage drängt sich auf: Rechnet sich eine solche Mini-Steuer für den Fiskus überhaupt? Genau jetzt kommen wir zum Kern des Problems. Die Aktionäre werden quasi zartfühlend an die neue Steuer herangeführt. Anschließend werden weitere Anlagegattungen wie Anleihen, Edelmetalle und Zertifikate in das Steuersystem aufgenommen. Daneben lässt sich der Steuersatz mit der Zeit selbstverständlich beliebig erhöhen.  

Wir starten also mit 0,2 % und landen am Ende vielleicht bei 1 %. Zu Deutsch: Hier bereitet die Politik für uns eine massive Steuerspirale vor. Wir dürfen getrost davon ausgehen, dass die 10 Finanzminister hier langfristig mit neuen Steuereinnahmen zwischen 30 und 35 Milliarden Euro pro Jahr planen. Diese Hausnummer hat 2013 die EU-Kommission in einem vertraulichen Arbeitspapier aufgerufen, als die Einführung der Finanztransaktionssteuer glücklicherweise noch scheiterte.  

Vorsichtig geschätzt werden von diesen 30 bis 35 Milliarden Euro rund 7 Milliarden Euro direkt und indirekt (z.B. über Fonds) am Ende von deutschen Anlegern zu bezahlen sein. Da werden Sie mir zustimmen, das ist dann keine Mini-Steuer mehr. 

2009 haben wir die Einführung der Abgeltungssteuer noch klaglos hingenommen. Diesmal weht allerdings ein anderer Wind. Vor allem im Internet formiert sich zur Stunde der Widerstand. Wir werden da nicht abseits bleiben, sondern ebenfalls unsere Meinung kundtun. Gleich in der nächsten Woche finden Sie an dieser Stelle meinen offenen Brief an Finanzminister Olaf Scholz sowie weitere Spitzenpolitiker der Großen Koalition.