Lieber Börsianer,

ich liebe mein Land. Sein Aktienmarkt überzeugt mich allerdings schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Seit Anfang 2015 erzielen wir mit DAX-Aktien im Schnitt keinerlei Kursgewinne mehr. Lediglich nach Dividenden liegt der Index im Plus.  

Die Schwäche des deutschen Leitindex sticht besonders im Vergleich zum US-Leitindex S&P 500 ins Auge. Auf Sicht von 5 Jahren bleibt der DAX mittlerweile rund 40 % hinter seinem US-Pendant zurück. Vergleichen Sie hierzu bitte den folgenden Chart!

Mittlerweile hat sich auch die Hoffnung zerschlagen, dass der DAX den Performance-Rückstand jemals aufholen wird. Allein in den vergangenen 12 Monaten ist die Schere im Vergleich zum S&P 500 nochmals um 12 % aufgegangen. Mit anderen Worten: Jeden Monat verdienen Investoren im US-Markt 1 % mehr, als wenn sie ihr Kapital im DAX angelegt hätten.  

Was ist die Erklärung für diesen Befund? Die deutsche Volkswirtschaft ist strukturell im Vergleich zur Volkswirtschaft USA benachteiligt oder eben deutlich schlechter aufgestellt. Dort stützt sich die Wirtschaft vorwiegend auf Unternehmen aus der Software- und Internetbranche.  

Dieser Trend wurde hierzulande weitgehend verschlafen. In den Zukunftsbranchen sind wir mit wenigen Ausnahmen wie etwa SAP oder mit Abstrichen Zalando kaum vertreten. Stattdessen dominieren hierzulande Auto- und Maschinenbauer. Für den DAX sind Aktien wie Daimler, BMW oder VW wichtig. In den USA sind hingegen Ford oder General Motors bestenfalls mittelschwere Unternehmen, die den Leitindex S&P 500 in seiner Entwicklung kaum stören können.  

Ein Wissenschaftler der Universität Innsbruck hat es bereits vor Jahren prägnant auf den Punkt gebracht: Die Deutschen stützen sich auf Technologien aus den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Diese Rückständigkeit schlägt sich nun eben auch in der Wertentwicklung des deutschen Aktienmarktes nieder.  

Das Ende der Globalisierung: Exportlastigkeit wird zum Bumerang 

In den Zeiten der Globalisierung, als Handelshemmnisse und Zölle allerorten abgeschafft oder zumindest abgebaut wurden, drehten deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt richtig auf. Wir waren Exportweltmeister im Abonnement.  

Zunächst ist die Phase der forcierten Globalisierung allerdings abgeschlossen. Stattdessen schrumpfen die Handelsströme rund um den Globus. Sinnbildlich für diese Deglobalisierung steht natürlich der sino-amerikanische Handelsstreit. Am Ende werden sich Peking und Washington schon zusammenraufen. Dennoch: Der Trend geht zur Abschottung der nationalen Märkte. Viele der zuletzt verhängten Sonderzölle werden wir demnächst als Regelzoll bezeichnen.   

Auch darunter leidet Deutschland als Exportweltmeister in besonderem Maße, während die tendenziell eher im Binnenmarkt aktiven US-Unternehmen diesen Effekt nicht spüren. Auch das ist ein Grund, warum die US-Indizes laufend neue Rekordhöhen erreichen, während der DAX langfristig stagniert.  

Noch ein Vorteil der USA: Der durchschnittliche US-Amerikaner ist 36 Jahre alt und damit rund 6 Jahre jünger als der durchschnittliche Deutsche. Wir sind gemeinsam mit Japan im internationalen Vergleich der Methusalem. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Denn Senioren konsumieren naturgemäß weniger als jüngere Menschen. Generell gilt: Je jünger eine Wohnbevölkerung desto dynamischer eine Volkswirtschaft.  

Was vielleicht noch viel schwerer wiegt: Es gibt hierzulande kein Problembewusstsein für diese strukturellen Nachteile des deutschen Standortes. Wir leben unverändert in der Zeit des Wirtschaftswunders und begeistern uns daran, dass wir wirtschaftlich betrachtet stärker als unsere Nachbarn sind. Ja, in Europa sind wir der Einäugige unter den Blinden.  

Für meine Depotkunden bzw. für meine Leser im RENDITE TELEGRAMM habe ich daraus bereits vor vielen Monaten die Schlüsse gezogen. Seitdem sind deutsche Aktien für mich nur noch eine Beimischung. Stattdessen setze ich auf dynamische Technologie- und Wachstumsaktien aus den USA und in zweiter Linie aus China.