Lieber Börsianer,

wir haben alle ein einfaches Modell von der Entwicklung eines Unternehmens im Kopf. Das geht ungefähr so: Ein Unternehmen startet jung und dynamisch und wartet mit überproportionalen Wachstumsraten auf. Mit der Zeit flacht sich die Wachstumskurve allerdings ab. Das Geschäftsmodell gewinnt zwar an Stabilität und Breite. Oftmals zahlen diese Unternehmen dann auch ihre ersten Dividenden. Dafür geht allerdings – wie gesagt – Wachstum und Kurspotenzial verloren. So unsere Vorstellung. 

Tatsächlich funktioniert dieses Modell für viele Unternehmen auch, wie etwa Cisco oder Intel. Bei anderen Unternehmen liegen wir mit dieser Annahme allerdings grundfalsch.  

Ein Beispiel: Microsoft erlebte seine erste Hochphase in den 90-er Jahren. Der PC war ein Verkaufsschlager und fand rasch Eingang in bald jeden Privathaushalt. Die Microsoft-Software wie Betriebssystem und Office wurde oftmals bereits ab Werk auf die Rechner aufgespielt. Ein perfektes Geschäftsmodell! 

Dann flachte die Wachstumskurve ab. Der Markt war gesättigt. Darüber hinaus verlor der klassische PC-Rechner langsam an Marktanteilen. Microsoft war kein Wachstumsunternehmen mehr, sondern „nur noch“ ein stabiles Geschäftsmodell für den vorsichtigen Anleger. Die Aktie lief jahrelang hauptsächlich seitwärts. Die Führung um Steve Ballmer fand keinen neuen Ansatz für mehr Wachstum. Ein Ausflug ins Handy-Geschäft scheiterte krachend 

Heute ist Microsoft in der Wahrnehmung der Analysten kein klassisches Software-Unternehmen mehr, sondern ein Cloud-Dienstleister. Und tatsächlich erfand sich das Unternehmen rund um den Megatrend Cloud völlig neu. Im Endkundenmarkt ist das US-Unternehmen nun Marktführer, und im Profi-Geschäft mit Unternehmensanwendungen mindestens die Nr. 2. 

Wie wirkte sich diese Wandlung auf den Kursverlauf aus? Seit 2013 schaffte die Aktie einen satten Kursgewinn von über 580 %. Zuvor, also zwischen 2002 und 2012 schaffte die Aktie eine Performance von – 14 %. Anleger, die den Wandel des IT-Unternehmens beizeiten richtig eingeschätzt hatten, haben sich also eine goldene Nase verdient.  

Wenn sich die Old Economy neu erfindet

Es geht allerdings noch spektakulärer. 1990 erwarb der Anlagenbauer und Hersteller von Gas-Pipeline-Systemen Mannesmann die erste Lizenz für den Mobilfunk in Deutschland (D-Netz). In der Folge stieg man zu einem der führenden europäischen Mobilfunker auf und verdiente in diesem Wachstumsmarkt Milliarden. Im Jahr 2000 übernahm Vodafone den deutschen Konkurrenten für 190 Milliarden DM. Das war damals die teuerste Unternehmensübernahme aller Zeiten. Mannesmann hatte sogar die Branche gewechselt und sich sehr weitgehend neu aufgestellt und dabei Milliarden Vermögen für seine Aktionäre geschaffen.  

Solche Branchenwechsel und Neugeburten sind natürlich nicht immer ein Selbstläufer, wie das Beispiel Bayer zeigt. Man hatte viel zu viel Geld für Monsanto bezahlt. Der Umstieg ins Agrargeschäft war zunächst keine gute Idee. Freilich ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen.  

Wer sind die nächsten Kandidaten für eine Neuerfindung? Zum Beispiel VW. Das Unternehmen wird sich in den kommenden Jahren zu einem digitalen Mobilitätsdienstleister wandeln. Dabei verabschiedet man bis 2025 allmählich den konventionellen Verbrennungsmotor und setzt auf Elektro-Mobilität.  

Gleichzeitig entwickelt man im Zusammenspiel mit US-Internetunternehmen komplexe Fahrleitsysteme für Millionen-Metropolen. Hier läuft derzeit ein vielversprechendes Pilotprojekt in Lissabon. Dabei weichen Busse des öffentlichen Nahverkehrs je nach Verkehrslage planvoll von der festen Route ab und umfahren auf diese Weise den innerstädtischen Stau.  

Ich setze im RENDITE TELEGRAMM gerne auf solche Unternehmen, deren Geschäftsmodell zuletzt etwas in die Jahre gekommen ist, und die sich jetzt häuten und neu erfinden. Wer hier richtig liegt und solche Entwicklungen beizeiten richtig einschätzt, der verdient schnell prozentual dreistellig. Mehr zu meinem Dienst lesen Sie hier.  

 

P.S. Dieses Unternehmen hätte ich fast vergessen. Apple wandelt sich gerade vom Ein-Produkt-Unternehmen (iPhone) zum umfassenden Internet-Unterhaltungsunternehmen. Diese Perspektive war im vergangenen Jahr schon einmal rund 725 Milliarden US-Dollar an der Börse wert. Sie sehen also: An der Börse ist nichts faszinierender als Veränderung und Neuerfindung.