Lieber Börsianer, 

wer den Kontext nicht kennt, reibt sich verwundert die Augen. In den vergangenen Wochen ist die Arbeitslosigkeit in den USA schier explodiert, während der Ölpreis komplett implodiert ist. Das ist üblicherweise keine Konstellation, die dem Aktienmarkt besonders hilft. Denn steigende Arbeitslosigkeit und fallende Rohstoffpreise deuten eine Rezession an. Trotzdem legte der US-Aktienmarkt in den vergangenen knapp 5 Wochen um 27 % zu. Ähnlich wuchtig kam der DAX seit seinem März-Tief voran.  

Was wird hier am Markt derzeit gespielt? Wir alle wissen, dass die Situation kurzfristig ziemlich miserabel ist. Aber die Investoren sehen ein helles Licht am Ende des Tunnels. Europa steigt nun allmählich aus der Quarantäne aus. Der Einzelhandel fährt wieder an, und man erwartet, dass die nationalen Regierungen quasi im Wochenrhythmus weitere Erleichterungen folgen lassen. Sogar im Tourismus hofft man wieder und setzt darauf, dass im Sommer zumindest eine nationale Lösung funktionieren wird, sodass der Österreicher an den Fuschlsee darf und wir zumindest in die Lüneburger Heide (jeweils beispielhaft). 

Kurzum: Man erwartet am Markt, dass sich das Blatt im zweiten Halbjahr grundsätzlich wenden wird. Man geht davon aus, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den USA und in zweiter Linie auch in Europa eher ein Corona-saisonales Phänomen sein wird. Und am Terminmarkt preist man derzeit sogar einen satten Preisanstieg für Öl ein. So notiert WTI-Öl aus Texas zur sofortigen Lieferung bei rund 17 US-Dollar. Wer den Rohstoff für Dezember haben will, zahlt derzeit allerdings fast den doppelten Preis.  

Nicht die Gegenwart entscheidet, sondern die nähere Perspektive  

Es ist also wie so oft an der Börse: Die nähere Perspektive macht die Kurse und nicht die Gegenwart. In dem Sinne stehen alle Börsenampeln kurzfristig auf grün. Die Entscheidung wird dann erst im Juli und August gefällt. Kommt der erhoffte starke realwirtschaftliche Aufschwung, ist alles gut. Wird hingegen der Weg der Rückkehr eher steinig, werden wir im Sommer sicherlich nochmals eine Zwischenkorrektur sehen. Wer also kaufen will, sollte seine Transaktionen nun zeitig über die Bühne bringen. Der Aktienmarkt wartet nur sehr selten auf Nachzügler.  

Die Gewinner der Stunde sind vor allem digitale Geschäftsmodelle aus den typischen Dienstleistungsbranchen wie Software oder Internet. Wir haben verstanden, Unternehmen wie Microsoft, Netflix oder Ericsson werden die Krise ohne größere Blessuren überstehen. Trotzdem lassen sich bei diesen digitalen Aktien immer noch teils lukrative Einstiegskurse holen. 

Schwieriger ist die Situation in den traditionellen Branchen, wo Schulter an Schulter oder generell in großer räumlicher Nähe zum Kollegen oder Kunden gearbeitet wird. Die Aktien dieser Unternehmen werden wir uns als Investor wohl erst in der zweiten Welle zum Kauf vornehmen. Hier reicht die günstige Perspektive also zunächst noch nicht für den ganz großen Durchzug. Belastend wirkt hier zudem, dass wir noch nicht abschließend wissen, wer denn alles die Dividende kürzen oder gänzlich streichen wird. Aber auch hier wird gelten: Corona-bedingte Dividendenkürzungen werden nicht von Dauer sein.  

Fazit: Seien Sie also guter Dinge und bleiben Sie am Ball! Im Sommer dürfte der Markt zwar nochmals schwächeln. Zu den alten Tiefs werden wir allerdings nicht mehr zurückkehren. Der Trend sagt klar: Wir befinden uns in einem Kaufmarkt.