Lieber Börsianer, 

in der vergangenen Woche nahmen sich die Märkte mehrheitlich eine kleine Verschnaufpause. Der DAX kam nur unbedeutend voran, während die wichtigen US-Indizes sogar leicht nachgaben. Gleichwohl befinden wir uns weiterhin in einer sehr soliden Erholungsrally. So verbesserte sich der DAX auf Monatssicht um 8 %, während der NASDAQ 100 etwas über 7 % vorrückte. 

Am Markt spielt man das Thema Wiedereröffnung und setzt darauf, dass sich die derzeit schwierige wirtschaftliche Situation von Woche zu Woche verbessert. Ganz unbegründet sind diese Hoffnungen in der Tat nicht. So deutet der aktuelle Ifo-Geschäftsklima-Index an, dass wir in Deutschland und damit wohl in ganz Mitteleuropa das Schlimmste überstanden haben. Per saldo rückte der Index im Mai von 74 auf knapp 80 Punkte vor. Das ist isoliert betrachtet immer noch ein richtig schlechter Wert. Aber er zeigt eben an, dass der Corona-Abschwung allmählich an Wucht verliert.  

In den USA das nämliche Bild. Für sich genommen liegt der dortige Arbeitsmarkt in Trümmern. Im April gingen dort 20 Millionen Stellen verloren, die Arbeitslosenrate schnellte auf gewaltige 15 % in die Höhe. Aber die großen Kündigungswellen sind abgeschlossen. Darüber hinaus haben wohl viele der Entlassenen die Zusage ihres Arbeitgebers in der Tasche, bald wieder auf ihren angestammten Arbeitsplatz zurückkehren zu dürfen.  

Also: Wir sind gegenwärtig immer noch im Abschwung. Die Bewegung verliert allerdings an Dynamik und deutet eine bevorstehende Erholung der Volkswirtschaften an. Ab Juli rechne ich mit einer spürbaren Belebung der europäischen Konjunktur.  

Unterdessen tun sich hierzulande immer wieder neue Viren-Hotspots auf wie zuletzt in Frankfurt oder im norddeutschen Leer. Solche kleineren Rückschläge waren in der ersten Phase der Wiedereröffnung erwartbar. Gleichwohl habe ich den Eindruck, dass die Gesundheitsämter die Situation unter Kontrolle haben und die entstehenden Infektionsherde gleich im Keim abstellen. 

Neue geopolitische Spannungen um China 

Ich sehe bei allem Optimismus allerdings auch einige Belastungsfaktoren. In Hongkong etwa ziehen die jungen Menschen wieder auf die Straßen und setzen ihren Protest gegen die Zentralregierung in Peking fort. Erneut setzten Ordnungskräfte dort am Sonntag Tränengas und Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein. Die Investoren meiden daher unverändert diesen Standort, sodass die jüngste Erholungsrally am Hongkonger Aktienmarkt völlig vorbeizog.  

Das Verhältnis zwischen Washington und Peking bleibt indessen unterkühlt, um es freundlich zu formulieren. So erfüllte Peking bis jetzt nur teilweise die Vereinbarungen aus dem Anfang des Jahres abgeschlossenen Handelsvertrags. Die Chinesen erklären diesen Rückstand mit dem Virus, Washington sieht hingegen fehlenden politischen Willen in Peking.  

Kurzfristig rechne ich nicht mit einer weiteren oder neuen Eskalation. Beide Seiten haben großes Interesse, die Konjunktur in den eigenen Ländern wieder anzukurbeln. Da wäre ein neu entflammter Handelskrieg nicht hilfreich. Langfristig gehe ich allerdings davon aus, dass die Konkurrenz unter den beiden Großmächten anhalten wird.  

Fazit: Es spricht viel dafür, dass wir auch in dieser Woche mehrheitlich steigende Aktiennotierungen sehen werden. Der Aktienmarkt ist in seiner Breite auch noch nicht überkauft. Optimisten und Pessimisten halten sich ungefähr die Waage. Als Börsianer wissen: Eine kleine Portion Pessimismus hat dem Aktienmarkt noch nie geschadet.