Liebe Leser, 

bekanntlich haben die Griechen das Drama erfunden. Aber auch im Land von Schiller und Goethe beherrschen wir diese Literaturgattung. So setzte das ZDF ein Spezial mit dem Titel „Tag der Entscheidung“ auf. Ähnlich wuchtig formulierte heute Morgen unsere Kanzlerin in einer Regierungserklärung: Wir befinden uns in dramatischer Lage. Ist Deutschland also wieder einmal im Endkampf? Was ist passiert?  

Gestern einigten sich die 16 Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin auf einen „Lockdown light“. Nun, ganz „light“ wird diese Veranstaltung nicht, vor allem nicht für Gastronomen, Hotelliers, Betreiber von Saunen oder etwa Fitnesseinrichtungen. Die haben nämlich wieder einmal frei. Auch der ein oder andere Vermieter wird sich nochmals auf Mietausfälle einstellen dürfen.  

Die Begründung für diese Maßnahmen: Das deutsche Krankenhaussystem steht vor einem Kollaps. Ohne Frage, das Infektionsgeschehen ist derzeit ernst. So zählte das Robert Koch-Institut zuletzt rund 16.000 neue Infektionen pro Tag. Es gibt allerdings auch noch andere Zahlen.  

So infizieren sich derzeit vorwiegend jüngere Menschen, die mit großer Wahrscheinlichkeit nie eine Arztpraxis geschweige ein Krankenhaus von innen sehen werden, weil sie die Infektion ohne oder mit geringer Symptomatik überstehen werden. Folglich arbeiten auch die deutschen Krankenhäuser derzeit im Regelbetrieb. Dabei verfügen wir über rund 28.000 Intensivbetten, von denen gegenwärtig etwas über 21.000 belegt sind. Rund 7,2 % dieser Betten sind mit Corona-Patienten belegt.  

Daneben halten die Krankenhausbetreiber eine Notfallreserve von knapp 13.000 Betten vor, die binnen von 7 Tagen aktiviert werden kann. Zu Deutsch: Das System steht. Die nun eingeleiteten Maßnahmen sorgen dafür, dass es auch in 8 Wochen noch stehen wird, selbst wenn die Anzahl der Infizierten kurzfristig sicherlich weiter zunehmen wird. Von Endkampf kann also keine Rede sein.  

Wir werden mit dem Virus vorerst leben müssen 

Wir haben auch heute keinen Tag der Entscheidung. Absehbar wird uns das Virus auch im kommenden Jahr, wenn wir dann die dritte Welle erleben werden, beschäftigen. Es besteht leichte Hoffnung, dass in den USA Anfang des kommenden Jahres ein Impfstoff bereitsteht. Bis damit Mitteleuropa halbwegs durchgeimpft sein wird, werden viele Monate vergehen. 2022 werden wir dann die sog. Herdenimmunität erreicht haben, so das derzeit wahrscheinlichste Szenario 

Das hatten wir uns anders vorgestellt, vor allem als Börsianer. Aber auch an der Börse wird man lernen, mit dem Virus, mit den neuen Realitäten umzugehen. Derzeit preist der Markt diese mittelprächtige Perspektive ein. Deshalb tendieren die europäischen Börsen derzeit so weich. 

In den USA ist die Pandemie momentan nicht das allein beherrschende Thema. Dort blickt man auch auf die bevorstehende Präsidentschaftswahl und setzt auf neue Impulse. Man erwartet, dass ein neuer Präsident oder auch der alte neue Hilfsprogramme aufsetzen und damit die Konjunktur wieder anschieben wird.  

Ich gehe freilich davon aus, dass auch die US-Börsen dem Virus noch ihren Tribut zollen werden. Ganz konkret: Auch dort werden die Investoren in den nächsten Tagen und vielleicht sogar Wochen noch etwas Luft aus dem Börsenballon ablassen. Der Auslöser für die Korrekturwelle ist das Virus. Der wahre Hintergrund ist allerdings ein anderer: Die Aktien sind derzeit einfach zu teuer und müssen einige Prozentpunkte runter, bevor der Markt in den nächsten Haussezyklus einsteigen wird.  

Kurzum: Richtig viel Spaß macht uns die Börse derzeit nicht. Aber ein Drama lesen Sie momentan nicht, eher eine ganz normale Börsenerzählung. Also bleiben Sie gelassen, agieren Sie kurzfristig eher defensiv und halten Sie noch einige Prozent Cash in Ihrem Depot, damit Sie nach der Korrektur wieder günstig nachkaufen können.