Liebe Börsianer,

wir kennen das. Sagen wir Netflix meldet prozentual zweistelliges Gewinnwachstum, während das Kundenwachstum sogar noch etwas stärker ausgefallen ist. Die Aktie steigt also nachbörslich mächtig, und meine Kollegen aus der Analystenzunft stufen die Aktie unisono herauf und heben die Kursziele an. Andersherum geht auch: Sagen wir ThyssenKrupp versagt wieder einmal und meldet tiefrote Quartalszahlen. Dann ist man ganz kritisch, bestätigt am Tag danach das Votum Verkaufen und senkt nochmals die Kursziele.

Irgendwie wäre ich ohne die Einlassungen meiner Kollegen auch auf diesen Trichter gekommen. Man klappert in der Zunft gerne nach und macht starke Aktien noch stärker und haut auf diejenigen, die ohnehin am Boden liegen, nochmals drauf. Kurzum: Man erzählt dem Markt gerne, was der ohnehin schon weiß.

Das ist noch nicht einmal ein Vorwurf. Aber man muss die Arbeitsweise in der Branche kennen, um aus den diversen Analystenprognosen wirklich einen Nutzen zu ziehen. In der Regel bespricht ein Analyst eine Aktie sechsmal im Jahr, davon exakt viermal nach Bekanntwerden der Quartalszahlen.

Wie gesagt, diese nachlaufenden Analysen bringen uns als Investor nicht wirklich voran, zumal die Nachricht ohnehin schon eingepreist ist, wenn der Analyst spricht. Tatsächlich ist die Arbeit eines einzelnen Analysten vor allem kurzfristig für uns wenig relevant.

Ein anderes Bild ergibt sich freilich, wenn wir die Einstufungen und Prognosen der einzelnen Analysten zusammenziehen und daraus den sog. Konsens also Durchschnitt ermitteln. Hier finden wir wichtige Informationen zu erwarteten Gewinn- und Umsatzentwicklung. Und genauso wichtig: Wir finden ein gutes Stimmungsbild zur Aktie vor.

Dabei bin ich grundsätzlich immer etwas skeptisch, wenn man sich in Gänze uneingeschränkt für den Kauf einer Aktie ausspricht. Dann weiß ich, hier herrscht großer Optimismus, das Kurspotenzial wird also erst einmal eher begrenzt sein. Denn Analysten arbeiten für Investmentbanken, und diese Marktteilnehmer haben in der Situation bereits gekauft, wenn ihre Kaufempfehlung publik wird.

Sind alle Analysten für eine Aktie pessimistisch, ist ebenso Vorsicht angesagt. Dann muss man sich seiner Sache wirklich sehr sicher und alle Einwände umfassend geprüft haben. In diesem Fall fragt man sich sicherheitshalber, ob man wirklich schlauer ist oder mehr weiß als alle anderen.

Am besten ist für uns ein gemischter Analystenchor mit einigen Molltönen. Denn dann wissen wir, bei dieser Aktie stehen viele Marktteilnehmer noch am Rand und haben noch nicht gekauft. Wenn solche Unternehmen schließlich überraschen, sehen wir starke Kursausschläge.

Fazit: Der clevere Börsianer geht nie unkritisch mit der Analystenherde, sondern setzt eher auf eine durchwachsenes Stimmungsbild. Hier finden Sie Renditen, ohne dabei ins maximale Risiko des voll antizyklischen Investments zu gehen. So funktioniert erfolgreiche Depotarbeit.