Liebe Börsianer,

die meisten wichtigen Aktien-Indizes notieren derzeit auf historischem Rekordhoch. In der Tat haben wir ein angenehmes erstes Börsenhalbjahr erlebt. So machte etwa der S&P 500 oder der DAX seit Jahresbeginn rund 14 %. Das ist absolut überdurchschnittlich. Trotzdem wirkte der Aktienmarkt zuletzt wenig dynamisch. Dieser Eindruck täuscht nicht. Auf Monatssicht rückten die meisten Aktienmärkte nur noch unwesentlich voran.

Diese Müdigkeit ist der Jahreszeit geschuldet. Viele Investoren sind derzeit gar nicht am Platz, sondern planschen irgendwo im Meer oder finden anderweitig Erholung. Außerdem steht uns die nächste Berichtsaison ins Haus. Nicht wenige Investoren möchten hier zunächst die ersten Zahlen sehen, bevor man sich neu eindeckt.

Außerdem fehlt uns im Moment eine „große Erzählung“. Die Wasserstoff-Aktien wurden in den vergangenen Monaten doch spürbar zusammengestaucht. Hier hat sich bei vielen Marktteilnehmern der Eindruck verfestigt, dass der Einstieg ins sog. Wasserstoff-Zeitalter doch mehr Zeit benötigt als noch zuvor gedacht und erhofft. Auch andere Trendthemen der letzten Monate wie etwa Cloud oder 5G sind etwas strapaziert und taugen kurzfristig nicht dazu, die nächsten Kursschübe an den Technologie-Börsen auszulösen.

Die Covid-Hausse für die digitalen Geschäftsmodelle ist ebenfalls erst einmal vom Tisch. Man verlässt wieder das Home-Office und braucht nun doch nicht gleich die nächste Lizenz für ein Videokonferenz-System. Wir wissen natürlich alle, dass Amazon, Teamviewer, Delivery Hero und die anderen Profiteure der Pandemie im laufenden Jahr nicht nochmals so stark wachsen werden wie 2020.

Stattdessen zeichnen sich am Horizont einige (denkbare) Störer für die Aktien-Hausse ab. Zu nennen sind da vor allem die ausgeprägten Inflationstendenzen in den USA. Gestern wurde gemeldet, dass die Teuerung dort im Juni auf 5,4 % (Vormonat: 5 %) gestiegen ist. Noch geht die Mehrheit der Marktteilnehmer davon aus, dass die straffen Preisanstiege vorübergehender Natur sind. Dann blieben auch die Zinsen im Keller und würden im Hintergrund die Aktien-Hausse weiter stützen. Aber Börsianer sind nicht naiv. Wir wissen, hier besteht ein Restrisiko für steigende Marktzinsen.

Wie sehen Sie das? Sollen wir jetzt weiter kaufen? Sicherlich, das Risiko für einen bösen Rückschlag ist überschaubar. Das allein freilich reicht mir als Kaufargument nicht aus. Ich plädiere dafür, dass wir erst wieder bedeutend auf der Käuferseite auftreten, wenn wir klare und frische Kaufargumente haben. Wir brauchen wieder eine große Erzählung von Innovation und Disruption im Technologie-Segment.

Hilfreich wäre zudem, wenn wir das Inflationsgespenst verjagen könnten. Oder: Peking und Washington nähern sich an und beenden ihren „War on Internet“ (Technologie-Krieg). Dann würden Aktien wie Alibaba, Baidu oder Tencent wieder richtig durchstarten. Und in den USA freuen sich die Chip-Designer wie Qualcomm oder AMD, wenn sie China wieder mit neuen Mikrochips versorgen dürfen.

Warten wir ab, bis sich das Marktumfeld aufgeklärt hat! Bis dahin rate ich zur Zurückhaltung. Die nächsten kurstreibenden Nachrichten und Entwicklungen kommen bestimmt.