Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

bekanntlich gilt ein gewisses Maß an Optimismus oder sogar Euphorie für den Aktienmarkt als schädlich. Der Zusammenhang ist einfach: Wenn Anleger optimistisch sind, haben sie bereits gekauft, und fehlende Liquidität beendet allmählich jede Hausse. Noch einfacher formuliert: Wenn alle ihr Pulver bereits verschossen haben, wer soll dann die Aktien noch hoch kaufen? Pessimismus hingegen deutet eine bevorstehende Hausse an. Auch hier ist der Zusammenhang klar: Wenn wir alle pessimistisch sind, sind wir nur unterdurchschnittlich investiert und können eben noch Kapital in den Aktienmarkt geben.

Was sind typische Merkmale einer Euphorie? Allein in den letzten 2 Jahren hat sich hierzulande die Anzahl der Aktien- oder Fondshalter um rund 25 % auf über 12 Millionen erhöht. Damit investieren derzeit so viel Menschen wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr an der Börse.

Gleichzeitig drängen immer mehr sog. Neo-Broker in den Markt, die per Smartphone einen besonders einfachen und günstigen Marktzugang bieten. Für den jungen Neu-Börsianer ist der Aktienkauf heute nicht mehr zwingend eine lang abgewogene Entscheidung. Immer öfter werden Aktien quasi spontan in der Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit per Smartphone geordert.

Viele Anleger agieren dabei im Rahmen von Aktiensparpläne als Dauerkäufer. Man findet die eigenen Aktien prinzipiell so gut, dass man sie pausenlos kauft. Eine ganz spezielle Form des Daueroptimismus.

Im Internet sind in den letzten Jahren etwa auf Facebook hunderte neuer Anleger- und Aktiengruppen entstanden. Hier ist man wenig kritisch und heizt sich in seiner Begeisterung für die Aktienanlage gegenseitig weiter an.

Diese Neu-Börsianer kennen einen Crash nur vom Hören und Sagen. Die unmittelbare Crash-Erfahrung fehlt diesem Anlegertyp. Daher agieren sie mit großer Unbekümmertheit und hoher Risikoneigung.

Ältere Semester greifen immer öfter auf spekulative Hebelprodukte zurück. Ganz anders etwa war die Stimmung nach der Finanzkrise 2008/9. Zertifikate oder Derivate galten als Teufelszeug. Man befasste sich stundenlang mit der Bonität des Emittenten und hat im Zweifelsfall dann doch nicht gekauft.

Ich wiederhole mich: Der damalige Pessimismus bzw. die damalige Übervorsicht war eine gute Grundlage für die anlaufende Hausse. Der heutige Optimismus ist sicherlich keine optimale Voraussetzung, um die aktuelle Hausse nahtlos fortzusetzen.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Ich selbst profitiere als Anbieter von Börsenpublikationen und -dienstleistungen ganz erheblich von der günstigen Stimmungslage rund um die Aktienanlage. Defätismus liegt mir als gebürtiger Rheinländer oder rheinischer Frohnatur definitiv nicht im Blut. Als altgedienter Börsianer weiß ich allerdings, dass man sich in Phasen der Euphorie besser erst einmal an der Seitenlinie hält.

Konkret: Kaufen Sie nur noch, wenn Sie von einem Titel absolut überzeugt sind! Verzichten Sie auf Verlegenheitskäufe, weil auf Ihrem Depotkonto gerade einige tausend Euro ungenutzt liegen! Das Geld liegt da nämlich gerade sehr gut. Sie werden es brauchen, wenn sich Ihre Mitaktionäre wieder etwas abgekühlt haben.