Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

nach der letzten historischen Achterbahnfahrt, bei der der Dow um fast 1.100 Punkte schwankte, gab der Aktienmarkt erneut nach. Als die Achterbahnfahrt vorbei war, konnte der Index einen Gewinn von 99 Punkten verzeichnen. Danach lag der Dow über weite Strecken im Plus, verlor aber bis zum Börsenschluss 66 Punkte.

Der S&P 500 und der Nasdaq taten es dem Dow gleich und beendeten den Handel im Minus. Damit war die Hoffnung zerstört, dass sich die vergangene Monsterrallye auf den nächsten Tag übertragen würde. Der Nasdaq wurde besonders hart getroffen und verlor 315 Punkte.

Waren die wilden Kursausschläge nur ein zufälliges Ereignis, das von Zeit zu Zeit auftritt oder sind sie vorhersehbar?

Mainstream-Ökonomen haben jahrzehntelang darauf bestanden, dass die Märkte hocheffizient sind und dass sie die verfügbaren Informationen nahezu perfekt verarbeiten und die Preise von Vermögenswerten heute korrekt festlegen, um zukünftige Ereignisse auf der Grundlage dieser Informationen zu berücksichtigen. In Wirklichkeit könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Die Märkte bieten den Analysten zwar wertvolle Informationen, aber sie sind alles andere als effizient. Märkte können rational oder irrational sein. Je nach Emotionen der Anleger und ihrem Herdenverhalten können die Märkte schwanken, irrational überschwänglich sein oder sich in einem Zustand völliger Panik befinden. Der gestrige Tag lieferte dafür ein deutliches Beispiel.

Zunächst muss man verstehen, dass die Märkte hochkomplexe Systeme sind. Ab einem gewissen Punkt wechseln Systeme von kompliziert, was eine Herausforderung für die Verwaltung dieser Systeme darstellt, zu komplex. Komplexität ist mehr als nur eine Herausforderung, denn sie öffnet die Tür für alle Arten von unerwarteten Zusammenbrüchen und Ereignissen. Das Verhalten komplexer Systeme lässt sich nicht auf ihre Bestandteile reduzieren. Es ist, als würden sie ein Eigenleben entwickeln.

Die Komplexitätstheorie hat vier Hauptsäulen: Die erste Säule ist die Vielfalt der Akteure. Man muss alle Akteure auf dem Markt berücksichtigen. Wenn man sich die Größe der globalen Märkte vor Augen führt, ist diese Zahl natürlich enorm. Die zweite Säule ist die Verflechtung. Die heutige Welt ist durch das Internet, die sozialen Medien und andere Formen der Kommunikationstechnologie in hohem Maße miteinander vernetzt. Die dritte Säule der Komplexitätstheorie ist die Interaktion. Märkte interagieren in großem Umfang. Jeden Tag werden Finanztransaktionen in Höhe von mehreren Billionen US-Dollar getätigt.

Die vierte Säule, die für die meisten Menschen am schwersten zu verstehen ist, ist das adaptive Verhalten. Adaptives Verhalten bedeutet einfach, dass das Verhalten von Person 1 das Verhalten von Person 2 beeinflusst und umgekehrt. Das wiederum wirkt sich auf das Verhalten einer dritten Person aus usw.

Wenn Sie zum Beispiel aus dem Fenster schauen und Menschen in dicken Jacken sehen, werden Sie wahrscheinlich nicht im T-Shirt hinausgehen. Auf die Kapitalmärkte angewandt, wird adaptives Verhalten manchmal als Herdenverhalten bezeichnet.

Nehmen wir an, Sie haben einen Raum mit 100 Personen. Wenn zwei Personen plötzlich aus dem Raum sprinten, würden die meisten anderen wahrscheinlich nicht viel davon mitbekommen. Aber wenn die Hälfte der Menschen im Raum plötzlich nach draußen rennt, würde die andere Hälfte wahrscheinlich dasselbe tun. Sie wüssten vielleicht nicht, warum die ersten 50 Personen den Raum verlassen haben, aber die zweite Hälfte würde einfach annehmen, dass etwas Großes passiert ist. Das könnte ein Feuer oder eine Bombendrohung oder etwas Ähnliches sein.

Der Schlüssel liegt darin, den Kipppunkt zu bestimmen, der die Menschen zum Handeln zwingt. Zwei Menschen, die fliehen, sind nicht genug. 50 sind es sicherlich. Aber vielleicht könnten auch 20 Menschen, die das Gebäude verlassen, bereits die Panik auslösen. Oder vielleicht sind es auch 30 oder 40. Man kann sich nicht sicher sein. Der Punkt ist jedoch, dass 20 von 100 Menschen eine Kettenreaktion auslösen könnten.

Und genauso leicht kann ein totaler Zusammenbruch der Kapitalmärkte ausgelöst werden. Wenn man die vier Hauptsäulen der Komplexität versteht, erhält man einen Einblick in das Innenleben der Märkte, wie es die veralteten Gleichgewichtsmodelle der Fed nicht können. Sie lassen einen die Welt mit klareren Augen sehen.

Die Menschen gehen davon aus, dass man eine Volkswirtschaft planen könnte, wenn man perfekte Kenntnisse über die Wirtschaft hätte, was niemand hat. Man hätte alle Informationen, die man bräuchte, um zu bestimmen, was und in welcher Menge produziert werden müsste.

Die Komplexitätstheorie besagt jedoch, dass man selbst bei perfektem Wissen finanzielle und wirtschaftliche Ereignisse nicht vorhersagen könnte. Sie können scheinbar aus dem Nichts auftauchen. Herkömmliche Prognosemodelle haben keine Möglichkeit, diese exogenen Schocks zu erkennen. Doch die Komplexitätstheorie lässt sie zu.