Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

die Welt hat ein dicht vernetztes und komplexes Finanzsystem. Es ist unmöglich, einen Teil des Welthandels und des Finanzwesens vollständig zu isolieren, ohne andere Teile zu beeinträchtigen. Man kann gegen ein bestimmtes Land Finanzsanktionen verhängen – wie es die USA und ihre Verbündeten gegen Russland getan haben –, aber diese Sanktionen werden unweigerlich auf die sanktionierenden Länder zurückfallen, und zwar auf meist unerwartete Weise.

Hier kommt die Verknüpfung zwischen den großen Märkten und dem Russland-Ukraine-Krieg ins Spiel. Bereit für ein bisschen 4D-Schach? Beginnen wir mit der Frage, ob die russischen Schulden ausfallen werden. Es ist nicht besonders sinnvoll, über „russische Schulden“ zu sprechen. Man muss zunächst eine Reihe von Unterscheidungen treffen:

  1. Handelt es sich um Schulden gegenüber Russen (intern) oder gegenüber ausländischen Gläubigern (extern)?
  2. Lauten die Schulden auf Rubel, US-Dollar oder Euro?
  3. Handelt es sich um Unternehmensschulden oder um Schulden, die von der russischen Regierung gemacht wurden?
  4. Befindet sich der Inhaber der Schuld in einem sanktionierenden Land oder nicht? (Unter einem sanktionierenden Land versteht man die Länder, die Sanktionen gegen Russland verhängen, einschließlich der USA, dem Vereinigten Königreich, Japan, der EU-Mitglieder und weiterer Länder.)

Diese vier Faktoren mit jeweils zwei Seiten ergeben eine achtdimensionale Matrix. Man könnte russische Unternehmensanleihen in US-Dollar analysieren, die an einen Inhaber in einem nicht sanktionierenden Land ausgegeben wurden. Oder Sie könnten russische Staatsschulden betrachten, die auf Rubel lauten und von russischen Banken und Bürgern gehalten werden. Ein Teil dieser Schulden würde ausfallen, ein anderer nicht. Die Antwort hängt davon ab, welche Kombination dieser Faktoren zutrifft.

Es gibt zum Beispiel keinen Grund, warum ein russischer Emittent mit Rubel-Schulden, die er Personen in Russland schuldet, in Verzug geraten sollte. Die Zentralbank kann die Rubel drucken oder die Geschäftsbanken können sie dem Schuldner leihen, sodass der interne Gläubiger problemlos bezahlt werden kann.

Im anderen Extremfall besteht bei auf US-Dollar lautenden Unternehmensschulden gegenüber Parteien in sanktionierenden Ländern eine nahezu hundertprozentige Ausfallwahrscheinlichkeit. Russland hat Devisenkontrollen eingeführt, die den Transfer von US-Dollar ins Ausland generell verbieten.

Es gibt ein separates Verbot der russischen Regierung für jegliche Zahlungen an Parteien in sanktionierten Ländern. Selbst wenn der Emittent die Schulden bezahlen wollte, machen diese Kapitalkontrollen und das Verbot der Regierung die Zahlung unmöglich.

Dennoch könnten auf US-Dollar lautende Staatsschulden bezahlt werden, wenn sich der Inhaber nicht in einem sanktionierten Land befindet. Die Herausforderung besteht hierbei darin, einen Zahlungsweg zu finden, der nicht durch die Sanktionen der USA und der EU blockiert ist.

Man müsste SWIFT umgehen und jede Abhängigkeit von US-Banken vermeiden. Es könnte bspw. möglich sein, eine Zahlung über chinesische oder indische Banken abzuwickeln. Wenn Sie zum Beispiel einem Kreditgeber in China US-Dollar schulden, könnten Sie dem Kreditgeber einen Betrag in Yuan (CNY) überweisen, der dem geschuldeten Dollarbetrag entspricht. Diese Zahlung könnte über das russisch-chinesische Zahlungssystem (nicht über SWIFT) geleitet werden. Nach der Überweisung könnte der Empfänger den Yuan in einer separaten Transaktion, die von den USA nicht unbedingt entdeckt würde, für US-Dollar verkaufen.

Auf der Grundlage der oben dargelegten Unterscheidungen könnte ein Analyst eine Skala der wahrscheinlichen Ausfallfaktoren wie folgt aufstellen:

  • Bei Auslandsschulden ist die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls größer als bei Inlandsschulden.
  • Bei US-Dollar-Schulden ist ein Ausfall wahrscheinlicher als bei Rubel-Schulden.
  • Bei Unternehmensschulden ist die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls größer als bei Staatsschulden.
  • Schulden, die in sanktionierenden Ländern gehalten werden, sind eher ausfallgefährdet als Schulden, die in nicht sanktionierenden Ländern gehalten werden.

Wenn man diese Faktoren als Richtschnur heranzieht, lässt sich daraus ableiten, dass externe auf US-Dollar lautende Unternehmensschulden, die von einer Partei in einem sanktionierenden Land gehalten werden, eine nahezu hundertprozentige Ausfallwahrscheinlichkeit haben, weil sie auf unserer Checkliste mit 0 von 4 bewertet werden. Es gibt keine günstigen Faktoren, die für sie sprechen.

Ebenso ist es sehr wahrscheinlich, dass auf Rubel lautende interne Staatsschulden, die von russischen Bürgern gehalten werden, bezahlt werden. Sie stehen auf unserer Checkliste bei 4 von 4. Sie verfügen über alle für die Rückzahlung erforderlichen günstigen Faktoren.

Daher hängt die Zahlung davon ab, wo sich der Inhaber befindet, welche Währung ihm zur Verfügung steht, wer der Emittent ist und welche Sanktionen greifen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Teil der Schulden aufgrund dieser Faktoren definitiv ausfallen werden, ein anderer nicht.

Was hat diese Analyse mit dem US-Dollar zu tun? Wenn Russland zahlungsunfähig wird, wird der US-Dollar an Wert gewinnen. Je größer das Ausmaß der russischen Zahlungsunfähigkeit, desto positiver sind die Aussichten für den US-Dollar. Da sich andere wichtige Währungen umgekehrt zum US-Dollar verhalten, wird ein russischer Zahlungsausfall, der den US-Dollar stärkt, den Euro, das Pfund Sterling und den Yen schwächen.

Der Grund dafür ist, dass die Inhaber zahlungsunfähiger russischer Schuldtitel Verluste erleiden werden, die entweder durch eine höhere Kreditaufnahme, eine geringere Verschuldung oder eine andere finanzielle Vereinbarung gedeckt werden müssen. Jeder Handel hat zwei Seiten.

Der Ausfall eines Kreditnehmers bedeutet einen Verlust (und eine ungedeckte Position) für den Kreditgeber. Der Kreditgeber muss dann seine Position auf dem Markt mit Krediten oder Derivaten absichern, die mit Sicherheiten unterlegt sind.

Diese Dynamik spielt sich hinter dem Vorhang im sogenannten Eurodollar-System ab. Das Ergebnis ist jedoch eine größere Nachfrage nach auf US-Dollar lautenden Sicherheiten (hauptsächlich Schatzwechsel), was den US-Dollar trotz der Tatsache, dass die USA eigene Haushaltsprobleme haben, stärker macht.

Dies ist ein gutes Beispiel für eine neue Finanzmaxime: Was in Russland passiert, bleibt nicht in Russland. Ein starker US-Dollar ist jedoch nur ein kurzfristiger Effekt der Sanktionen. Langfristig sieht die Sache anders aus.

Gegner der USA wie Russland, China, Libyen und der Irak halten große Teile ihrer Reserven in US-Dollar. Libyen und der Irak wurden beide von den USA überfallen und ihre Führer wurden getötet. Russland unterliegt nun strengen Sanktionen. China wurde mit hohen Zöllen auf seine Exporte belegt.

All diese Maßnahmen wurden aufgrund der Kontrolle der USA über den US-Dollar und das globale Dollar-Zahlungssystem verhängt. Wie lange wird es dauern, bis die Zielländer diesem System aus dem Weg gehen und versuchen, das Dollar-System zu verlassen?

Der letztendliche Preis könnte ein starker Rückgang des Vertrauens in die Rolle des US-Dollars als führende Reservewährung sein. Dieser Reservewährungsstatus ist für die US-Wirtschaft und die US-Bürger wertvoller, als vielen bewusst ist.

Er bedeutet, dass wir uns den Weg zum Wohlstand erdrucken können, indem wir das von uns geschaffene Geld verwenden, um für importierte Waren und Dienstleistungen zu bezahlen, und indem wir unsere Handelspartner, einschließlich unserer Gegner, dazu zwingen, unsere Schulden zu kaufen, weil es nicht viel anderes gibt, was man mit den US-Dollars, die wir ihnen zukommen lassen, tun kann.

Kurz gesagt, unser Handelsdefizit, unser Haushaltsdefizit und unser auf importierten Waren und Öl basierender Lebensstil beruhen alle auf der einzigartigen Rolle des US-Dollars als globale Reservewährung.

Der Untergang des US-Dollars wird nicht sofort eintreten. Aber auf den Märkten und in der Wirtschaft spielt sich alles am Rande ab. Eine Abkehr vom US-Dollar kann in kleinen Schritten beginnen, aber an Schwung gewinnen und zu einem Zusammenbruch führen.

Wenn unsere Feinde sich vom US-Dollar abwenden, sollten dann nicht auch die Anleger eine gewisse Diversifizierung in Betracht ziehen? Ein gewisser Anteil an Gold ist jetzt ein kluger Schritt, um Ihr Vermögen zu erhalten.

Wenn die Ereignisse außer Kontrolle geraten, kann es sein, dass Sie Gold in Zukunft nicht mehr zu jedem Preis bekommen können.