Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

die jüngste Schätzung der Federal Reserve Bank of Atlanta für das Wachstum des US-BIP im ersten Quartal 2022 beläuft sich auf 1,3 % (annualisiert). Das ist ein bemerkenswert schwacher Wert, und er kommt nur wenige Tage vor der Veröffentlichung der endgültigen Zahlen durch das US-Handelsministerium.

Es stimmt zwar, dass das erste Quartal hinter uns liegt, aber das erste Quartal war relativ unbeeinflusst vom Krieg in der Ukraine, der am 24. Februar begann. Die Auswirkungen des Krieges und der damit verbundenen Wirtschaftssanktionen werden im zweiten Quartal mit voller Wucht zu spüren sein.

Die Kombination aus einem schwachen ersten Quartal und den wirtschaftlichen Beeinträchtigungen durch die Sanktionen verheißt nichts Gutes für das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal. Das Wachstum in den USA könnte im zweiten Quartal nahe bei null liegen oder sogar negativ sein, was eine Rezession einläuten könnte.

Zu dem schwachen Wachstum kommt hinzu, dass die US-Notenbank Fed ein weiteres Experiment zur Straffung der Geldpolitik unternimmt. Die erste Anhebung der Zinssätze erfolgte am 16. März. Die Märkte rechnen fest mit weiteren Zinserhöhungen bei den nächsten Sitzungen am 4. Mai und 15. Juni sowie darüber hinaus. Die Märkte preisen sogar eine Zinsanhebung um 0,50 % am 4. Mai ein, nachdem es am 16. März lediglich 0,25 % waren.

Powell öffnet die Tür zu neuen Problemen

Ende der vorletzten Woche deutete Fed-Präsident Powell jedoch an, dass noch aggressivere Schritte möglich wären. Am vorletzten Donnerstag sagte er auf einem CNBC-Podium: „Meiner Meinung nach ist es angemessen, etwas schneller zu handeln. […] Ich denke auch, dass es im Voraus zu jeder Anpassung, die man für angemessen hält, etwas zu sagen gibt.“

Da die Märkte bereits 0,50 % für Mai eingepreist haben, kann man Powells Äußerungen nur so interpretieren, dass es im Juni und möglicherweise auch im Juli eine weitere Zinsanhebung um 0,50 % geben wird. Einige Analysten interpretierten Powells Äußerungen als Warnung, dass sogar eine Anhebung um 0,75 % in Aussicht gestellt werden könnte.

Diese Art der Straffung erforderte eine Neubewertung der Markterwartungen. Der „Dow Jones Industrial Average“ fiel am Tag nach Powells Äußerungen um 981 Punkte. Der Nasdaq und der S&P 500 verzeichneten ähnliche prozentuale Einbrüche. Der Absturz vom vergangenen Freitag zeigt jedoch, wie empfindlich der Aktienmarkt auf eine Straffung der US-Notenbank reagiert. Die Aussicht auf eine schnellere geldpolitische Straffung war es, was die Märkte am vergangenen Freitag nervös machte.

Es gibt zwei Wege und beide bergen Gefahren

Künftig hat die US-Notenbank Fed zwei Wege zur Auswahl. Sie kann die Zinsen so hoch anheben, dass die Inflation abgewürgt wird. Bei einer Inflation von derzeit 8 % müssten die Zinssätze auf 10 % angehoben werden, um einen realen Zinssatz von 2 % zu erreichen. Das ist praktisch unmöglich, denn die Wirtschaft wird in eine schwere Rezession geraten, lange bevor die Fed die Zinsen auf 10 % anhebt. Der Markt wird wahrscheinlich zusammenbrechen, bevor die Zinsen auf 5 %, geschweige denn auf 10 % steigen. Je schneller Powell die Zinsen anhebt, desto eher wird es zu einem Absturz kommen. Eine tiefe Rezession wird die Inflation bekämpfen, aber sie wird auch zu Arbeitslosigkeit, Konkursen und einer möglichen Finanzkrise führen.

Der andere Weg der Fed besteht darin, die Geldpolitik so lange zu straffen, bis das Wachstum gegen null geht und der Aktienmarkt unkontrolliert einbricht. An diesem Punkt kann die Fed das Handtuch werfen, wie sie es 2018 getan hat, und die Zinsen erneut senken. Das mag dem Aktienmarkt eine Atempause verschaffen, aber die Inflation wird außer Kontrolle geraten.

Powell hat also die Qual der Wahl: Entweder er zähmt die Inflation auf Kosten einer schweren Rezession und eines Börsencrashs, oder er rettet den Aktienmarkt auf Kosten einer noch höheren Inflation.

Es geht nicht nur um Zinserhöhungen

Aber es sind nicht nur die Zinserhöhungen, die die Märkte beunruhigen. Die Fed-Bilanz ist ein noch größeres Problem, da sie nicht mehr ausgeweitet wird. Die US-Notenbank steigt schrittweise aus dem QE aus, indem sie die Menge der monatlich gekauften Wertpapiere reduziert – das ist das sogenannte Tapering. Sie druckt immer noch Geld, aber die gedruckte Menge wird reduziert, bis sie bei null liegt.

Es mag seltsam erscheinen, das Drucken von Geld als Straffung zu bezeichnen, aber auf den Märkten spielt sich alles an den Rändern ab. Wenn die Fed weniger Geld druckt, ist das eine Straffung, auch wenn sie immer noch Geld druckt. Die quantitative Lockerung (QE) ist nun offiziell beendet, das Tapering ist abgeschlossen und die Fed denkt über ihren nächsten Schritt nach.

Die Fed hat auch signalisiert, dass sie beabsichtigt, die Geldmenge tatsächlich zu verringern. Dies ist das Gegenteil von QE und wird als quantitative Straffung oder QT bezeichnet. QT hat noch nicht begonnen, aber die Fed hat deutlich gemacht, dass sie bald damit beginnen wird – möglicherweise schon im nächsten Monat.

Ein dreifacher Schlag

Wie ich in einem kürzlich erschienenen Artikel erklärt habe, sieht sich der Markt mit drei Formen der Straffung auf einmal konfrontiert: das Ende von QE, aggressive Zinserhöhungen und der Beginn von QT. Dies ist ein dreifacher Schlag, der die US-Wirtschaft treffen und die Aktienmärkte in den kommenden Tagen und Wochen stark nach unten drücken wird.

Das ist nicht das, was die Fed will, aber das ist es, was sie bekommen wird. Ein Blick auf die jüngste Geschichte genügt, um zu verstehen, warum. Das letzte Experiment der Fed zur Straffung der Geldpolitik von 2013 bis 2018 scheiterte mit einem Kurssturz um 20 % im vierten Quartal 2018.

Als die Fed Ende 2017 mit QT begann, forderte sie die Marktteilnehmer dazu auf, dies zu ignorieren. Seitens der US-Notenbank wurde angemerkt, dass der QT-Plan auf Autopilot stände, die Fed würde ihn nicht als politisches Instrument einsetzen und er würde „im Hintergrund laufen“, wie ein Computerprogramm, das zwar geöffnet ist, aber im Moment nicht benutzt wird.

Es spricht nichts dagegen, dass die Fed diese Aussage getätigt hat, der Markt sah das jedoch anders. Analysten schätzen, dass QT das Äquivalent von zwei bis vier Zinserhöhungen pro Jahr zusätzlich zu den expliziten Zinserhöhungen ist.

Wie im Jahr 2018

Wenig überraschend kam es im Dezember 2018 zu einem Kurseinbruch an Heiligabend. Fed-Präsident Powell war daraufhin gezwungen, die Geldpolitik erneut zu lockern. Die Fed machte einen Rückzieher und begann 2019 sowie Anfang 2020 mit Zinssenkungen und QE. Mitte 2020 lagen die Zinssätze wieder bei null und die Geldmenge war fast doppelt so hoch wie im November 2014, als das vorherige Tapering endete.

Die US-Notenbank hat im Jahr 2018 versagt und wird wahrscheinlich erneut versagen. Es sind immer noch die gleichen Personen im Amt und verwenden die gleichen fehlerhaften Wirtschaftsmodelle. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed eine sanfte Landung hinbekommt, ist sehr gering. Ich kann nur eins sagen: Verlassen Sie sich nicht darauf. Es ist an der Zeit, Crash-Positionen einzunehmen.