Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

Lenin soll gesagt haben: „Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts geschieht, und es gibt Wochen, in denen Jahrzehnte geschehen.“

Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine Ende Februar ist das internationale Währungssystem durch eine Reihe von Entwicklungen gestört worden, die andernfalls Jahre oder sogar Jahrzehnte gebraucht hätten, um sich abzuzeichnen. Diese Entwicklungen haben ernsthafte Auswirkungen auf den US-Dollar. Die größte Frage ist, ob der drohende Rückgang der zentralen Rolle des US-Dollars im internationalen Währungssystem umkehrbar oder dauerhaft ist. Gehen wir der Sache auf den Grund.

Die USA haben es mit der Verhängung extremer wirtschaftlicher und finanzieller Sanktionen gegen Russland als Folge des Krieges übertrieben. Weit davon entfernt, Russland abzuschrecken oder sein Verhalten zu beeinflussen, haben diese Sanktionen die ohnehin schon deutliche Abkehr von der Verwendung des US-Dollars als Reservewährung weiter beschleunigt.

Die derzeitige US-Politik schadet den USA und Europa mehr als sie Russland schadet. Russland liefert etwa 10 % der weltweiten Ölexporte und etwa 40 % des gesamten von Europa verbrauchten Erdgases. Es ist auch ein wichtiger Lieferant von strategischen Metallen, Weizen, Düngemitteln und anderen für die weltweite Industrie und Landwirtschaft wichtigen Rohstoffen.

Es gibt keine Möglichkeit, die russischen Exporte abzuschneiden oder Russland von der Weltwirtschaft zu isolieren, ohne den Lieferketten und der Produktion in anderen Ländern schweren Schaden zuzufügen. Die USA werden ihre Sanktionen gegen Russland in gewisser Weise ändern oder lockern müssen, sonst droht Ende 2022 oder Anfang 2023 eine weltweite Rezession.

Die Unterbrechungen der Lieferketten führen in der Regel zu einer Inflation, die neben den bereits bestehenden Gefahren wie übermäßige Verschuldung, übermäßiges Vertrauen in Outsourcing und chinesische Produktion, interne politische Dysfunktion und einer schwachen Regierung eine Bedrohung für den Wert des US-Dollars darstellt. Auch diese Faktoren haben die Suche nach Alternativen zum US-Dollar stark vorangetrieben.

Um diesen Trend umzukehren, bedarf es entschlossener politischer Anstrengungen seitens der US-Führung, die konkrete Schritte unternehmen muss, um Schulden und Defizite abzubauen, von kostspieligen Militärexpeditionen in Übersee abzusehen und die US-Reserven mit Gold aufzustocken.

Ja, die Vereinigten Staaten sollten mehr Gold kaufen. Der Krieg in der Ukraine hat deutlich gemacht, welche Rolle Gold im internationalen Währungssystem spielt und wie sich diese in den kommenden Jahren ausweiten könnte.

In der vergangenen Woche wurde viel über einen neuen Goldstandard in Russland gesprochen, der angeblich den Anfang vom Ende des US-Dollars als globale Reservewährung markiert. An der Geschichte ist wenig dran, obwohl sie einen ersten Hinweis auf die erweiterte Rolle von Gold in einem neu entstehenden Währungssystem liefert.

Folgendes ist passiert: Die russische Zentralbank verkündete, dass der Rubel an Gold gekoppelt werden würde, was für viel Aufmerksamkeit sorgte. Aber bei der Ankündigung Russlands ging es nicht wirklich um einen Goldstandard. Sie war lediglich ein Mittel, um den Rubel auf dem Stand zu halten, den er vor dem Krieg in der Ukraine hatte. Anders ausgedrückt: Die Russen nutzten Gold, einen verlässlichen Vermögenswert, um den Rubel gegenüber dem US-Dollar zu stützen, als der Rubel unter großem Druck stand. Das bedeutete nicht, dass Russland einen neuen Goldstandard einführte.

Das heißt aber auch nicht, dass die Ankündigung nicht von Bedeutung wäre. Es wird als ein frühes Anzeichen für große Veränderungen verstanden, auch wenn diese eine Veränderung die Welt nicht umgestalten wird.

So führen beispielsweise China und Russland Gespräche über die Entwicklung eines eigenen Goldmarktes auf einer von der Shanghai Gold Exchange bereitgestellten Plattform. Diese Entwicklungen werden einige Zeit in Anspruch nehmen, aber letztendlich könnte sich ein liquider globaler Markt für Gold, Yuan und Rubel entwickeln, der nicht auf den US-Dollar angewiesen ist.

Dies ist eine von vielen Entwicklungen, die alle in dieselbe Richtung weisen: das Ende des US-Dollars als führende Reserve- und Zahlungswährung der Welt.