Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

es scheint, dass immer mehr Kommentatoren und Politiker eine stärkere Rolle der USA in der Ukraine fordern, sogar die Entsendung von Bodentruppen. So erklärte US-Senator Chris Coons aus Delaware kürzlich: „Wir im US-Kongress und die US-Regierung [müssen] zu einer gemeinsamen Position darüber kommen, wann wir bereit sind, den nächsten Schritt zu wagen und nicht nur Waffen, sondern auch Truppen zur Verteidigung der Ukraine zu schicken.“

Coons nahm seine Äußerungen später zurück, aber er ist nicht der Einzige, der sich für die Entsendung von Truppen in die Ukraine ausgesprochen hat. General Philip Breedlove, ehemaliger Oberbefehlshaber der NATO, schlug vor, die NATO solle Truppen in die Westukraine entsenden, um dort humanitäre Aufgaben zu erfüllen und einen Nachschubstützpunkt für Waffen einzurichten.

Das ist ja schön und gut, aber die Einrichtung eines Waffennachschubs in der Westukraine zieht uns mitten in den Konflikt hinein. Glauben Sie, dass Russland sich einfach zurücklehnt und dabei zusieht, wie die NATO Waffen liefert, um den Ukrainern zu helfen, noch mehr Russen zu töten?

Russische Raketen haben bereits Waffen zerstört, die von den USA und ihren NATO-Verbündeten an die Ukraine geliefert wurden. Was passiert erst, wenn Russland einen Waffennachschubstützpunkt angreift und eine Reihe von amerikanischen Soldaten tötet?

Die Reaktion darauf würde darin bestehen, die russischen Streitkräfte als Vergeltung anzugreifen. Die USA und Russland stünden dann auf der Eskalationsleiter (mehr dazu weiter unten).

„Hören Sie auf, sich Sorgen zu machen!“

General a. D. Ben Hodges meint unterdessen: „Ich habe immer noch nicht das Gefühl, dass wir alle gewinnen werden. Wir haben das Potenzial für einen Dritten Weltkrieg so hoch eingestuft, dass wir unsere politischen Entscheidungen auf der Grundlage einer übertriebenen Angst treffen.“

Aber vielleicht ist es nicht die Angst, die die USA davon abhält, direkt in der Ukraine zu agieren, sondern Besonnenheit. Man setzt darauf, dass ein konventioneller Konflikt mit Russland nicht zu einem Atomkrieg eskalieren wird. Und vielleicht haben die Entscheidungsträger recht. Vielleicht würde er das nicht. Aber ist das ein Risiko, das wir eingehen wollen?

Seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Auflösung der Sowjetunion 1991 ist die nukleare Kriegsführung kein Thema mehr, über das in den letzten rund 30 Jahren viel diskutiert wurde. Es ist sicherlich kein Thema, über das Nicht-Experten nachdenken wollen, denn die Auswirkungen sind sowohl schrecklich als auch existenziell. Dennoch ist kein Thema heute wichtiger als dieses.

„Don’t Go There“

Die Theorien zur nuklearen Kriegsführung wurden hauptsächlich in den 1950er- und 1960er-Jahren von Wissenschaftlern wie Herman Kahn, Henry Kissinger und Albert Wohlstetter entwickelt. Ich habe ihre Arbeiten Ende der 1960er-Jahre im Rahmen meines Studiums der internationalen Beziehungen gelesen und mich während meines Studiums sowie darüber hinaus weiter mit dem Thema beschäftigt.

Die wissenschaftlichen Ansätze unterschieden sich in mancher Hinsicht in Bezug auf die Doktrinen der Gegenkraft (Raketen auf Raketen richten), des Gegenwerts (Raketen auf Städte richten), des Erstschlags, des Zweitschlags und der gegenseitigen Zerstörungssicherheit. Aber in einer Sache waren sie sich alle einig: „Don’t go there“ – „Lass es bleiben.“

Das bedeutet, dass man weder mit einem Atomkrieg einen Angriff beginnen, noch diesen Angriff mit einem Atomkrieg beenden solle. Aber er kann trotzdem stattfinden.

Die Eskalationsleiter erklimmen

Der Prozess, der zum Atomkrieg führt, wird Eskalation genannt. Zwei Nuklearmächte beginnen mit einem Missstand irgendeiner Art. Dieser Missstand kann mithilfe von Stellvertreterkriegen ausgetragen werden, wie in Vietnam in den 1960er-Jahren und in Afghanistan in den 2000er-Jahren.

Eine Seite eskaliert den Konflikt, indem sie etwas Unerwartetes oder Extremes tut. Die andere Seite bleibt nicht untätig, sondern führt eine extreme Vergeltungsmaßnahme durch. Der erste Akteur erwidert dann die Vergeltung und so weiter. Jetzt haben wir eine Dynamik, bei der zwei Seiten die Eskalationsleiter hinaufsteigen.

Auch hier ist es wichtig zu betonen, dass keine der beiden Seiten wirklich einen Atomkrieg will, aber wenn sie einmal angefangen haben, die Eskalationsleiter zu erklimmen, ist es schwer, damit aufzuhören. Irgendwann treibt eine Seite die andere so weit, dass die einzige Antwort der Einsatz von Atomwaffen ist. An diesem Punkt ist es nicht mehr nur eine Eskalation, sondern man steht am Rande eines Atomkriegs.

Benutzen oder verlieren

Erschwerend kommt hinzu, dass jede Seite das Gefühl hat, die andere Seite könnte nuklear vorgehen, sodass unweigerlich Druck entsteht, zuerst nuklear vorzugehen, um nicht selbst getroffen zu werden. Dies führt zu einem weiteren Theoriezweig, der sich mit Erstschlag-, Zweitschlag-, Gegenkraft- und Gegenwertstrategien usw. befasst. Ich muss diese Theorien nicht weiter vertiefen, um deutlich zu machen, dass ein Atomkrieg nicht mit einem Atomangriff beginnt. Er beginnt mit kleinen Schritten, die außer Kontrolle geraten.

Durch den Krieg in der Ukraine ist die Welt diesem apokalyptischen Zustand näher als jemals zuvor (abgesehen von der Kubakrise 1962). Das bedeutet nicht, dass sich beide Seiten sofort mit Interkontinentalraketen beschießen würden. Jeder Nuklearkonflikt würde wahrscheinlich mit taktischen Nuklearangriffen beginnen, d. h. mit Waffen geringerer Sprengkraft, die dazu bestimmt sind, gegnerische Truppenverbände, Militärbasen usw. auszuschalten.

Russland hat bereits davor gewarnt, dass es taktische Atomwaffen einsetzen könnte. Die USA und die NATO scheinen zu glauben, dass Russland blufft und es daher sicher ist, die Eskalation fortzusetzen. Vielleicht stimmt das auch, vielleicht aber auch nicht.

Im Gegensatz zu den USA, die den Einsatz von Atomwaffen nur als letztes Mittel betrachten, steht die russische Militärdoktrin dem Einsatz taktischer Atomwaffen auf dem Schlachtfeld viel offener gegenüber.

Man geht davon aus, dass Russland über mehr als 2.000 taktische Atomwaffen verfügt, während die USA weniger als 250 besitzen. Angesichts der konventionellen Unterlegenheit Russlands gegenüber den USA und der NATO ist es nicht verwunderlich, dass Russland über so viele taktische Atomwaffen verfügt.

Um es klar zu sagen: Ich sage keinen Atomkrieg voraus. Ich weise lediglich auf die Risiken hin, die entstehen, wenn beide Seiten die Eskalationsleiter in Richtung Atomkrieg betreten. Es ist leichter, aufzusteigen als abzusteigen.

In den Krieg stolpern

Inzwischen gibt es glaubwürdige Berichte, wonach britische Spezialeinheiten in der Ukraine sind und die Ukrainer in Sabotage und anderen Spezialoperationen ausbilden. Ähnliche Berichte kursieren über US-amerikanische und französische Spezialeinheiten in der Ukraine.

Die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich sind alle Mitglieder der NATO. Sollte einer dieser Truppen getötet werden oder auf russische Streitkräfte treffen, könnte dies als Krieg zwischen Russland und der NATO angesehen werden, was einem Dritten Weltkrieg gleichkäme.

Russland untersucht diese Behauptungen. Für sich genommen mögen diese Spezialeinheiten wie eine kleine Eskalation erscheinen. Aber es ist genau die Art von Aktion, die zu etwas viel Schlimmerem führen kann.

Das Weiße Haus täte gut daran, dasselbe zu lernen, was ich in den späten 1960er-Jahren gelernt habe. Stattdessen scheint es, als sei im Weißen Haus niemand zu Hause. Wir spielen mit dem Feuer, denn das Eskalationspotenzial steigt weiter. Und damit leider auch der potenzielle Marsch in Richtung eines Atomkriegs, von dem man uns sagt, wir sollten uns keine Sorgen machen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin ein wenig besorgt.