Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

der Goldpreis hat sich in letzter Zeit schwergetan. Am 8. März notierte der Goldpreis auf Schlusskursbasis bei 2.043 USD pro Unze und damit nahe an seinem Allzeithoch von 2.069 USD, das im August 2021 markiert wurde. Dieses Zwischenhoch vom 8. März war zum Teil eine Reaktion auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar. Unmittelbar nach dem Einmarsch herrschte ein hohes Maß an Unsicherheit am Markt hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen. Der Kauf von Gold schien eine natürliche Reaktion auf diese Unsicherheit zu sein.

Der Krieg ist noch lange nicht vorbei und die Ungewissheit bleibt bestehen, aber die Märkte kamen schnell zu dem Schluss, dass das russische Militär nicht so dominant ist wie befürchtet, die Sanktionen der USA und der EU Russland zermürben würden und dass die Wirtschaft trotz der Unterbrechungen der Lieferketten weiter wachsen könnte.

In Anbetracht der heiteren Reden von Wirtschaftsexperten und der intensiven pro-ukrainischen Berichterstattung sowohl in ukrainischen als auch in westlichen Medien wurde dem Goldpreis ein Dämpfer verpasst. Der Goldpreis fiel zwischenzeitlich auf 1.909 USD pro Unze, erholte sich Mitte April allerdings wieder auf 1.986 USD, um anschließend auf das derzeitige Niveau von 1.855 USD pro Unze zu fallen. Für Gold ist das ein kräftiger Rückgang in nur etwas mehr als zwei Monaten.

Im Folgenden finden Sie eine Zusammenfassung der wichtigsten Ursachen für den Rückgang des Goldpreises. Betrachten Sie dies als Ihren Spickzettel, warum der Goldpreis gefallen ist. Aber auch, warum er sich eher früher als später wieder erholen könnte:

  • Zinssätze und Inflation: Der reale Zinssatz ist die wichtigste Variable für den Goldpreis. Der Realzins ergibt sich aus dem Nominalzins abzüglich der Inflation. Derzeit liegen die Realzinsen bei etwa −7 %, wenn man 1 % als Zinsmaßstab und 8 % als Inflationsmaßstab zugrunde legt.

 

Auf den ersten Blick ist das ein äußerst günstiges Umfeld für Gold. Das Problem ist, dass die Zinssätze schnell ansteigen. Sie könnten bis Ende dieses Jahres bei 2,25 % (oder höher) liegen. Die Märkte gehen außerdem davon aus, dass die Inflation im Laufe des Jahres zurückgehen wird. Man kann darüber diskutieren, ob das stimmt oder nicht, aber diese Debatte ist nicht entscheidend.

 

Was zählt, ist die Marktwahrnehmung, und im Moment geht man davon aus, dass die Inflation bis zum dritten Quartal auf 5 % sinken könnte (zum Teil aufgrund der geldpolitischen Straffung der US-Notenbank Fed). In diesem Fall würden die Realzinsen bei −2,75 % liegen. Das ist immer noch negativ, aber viel höher als die derzeitigen −7 %. Dieser Anstieg der Realzinsen ist wie ein Gegenwind für den Goldpreis.

 

  • Der US-Dollar: Der Goldpreis notiert in US-Dollar und entwickelt sich im Allgemeinen konträr zur Stärke des US-Dollars. Ein starker US-Dollar führt demnach zu einem niedrigeren Dollarpreis für Gold, während ein schwacher US-Dollar einen höheren Dollarpreis für Gold zur Folge hat. In letzter Zeit hat sich diese Logik nicht bewahrheitet.

 

Wir sehen einen durchweg stärkeren US-Dollar und bis vor Kurzem auch einen stärkeren Goldpreis. In den letzten Monaten hat Gold nachgegeben, während der US-Dollar seinen Aufwärtstrend fortsetzte. Die Korrelation zwischen dem US-Dollar und dem Goldpreis war also gestört.

 

Ein Grund dafür ist, dass der starke US-Dollar in Wirklichkeit auf dem DXY oder dem Bloomberg-Dollar-Index basiert, die sich beide ausschließlich aus Währungen zusammensetzen und keinerlei Bezug zu Gold haben. Der starke US-Dollar wird durch weltweite Liquiditätsängste und einen Mangel an auf US-Dollar lautenden Sicherheiten (hauptsächlich Schatzanleihen) verursacht, die Banken zur Hebelung ihrer Bilanzen verwenden. Auch hier kommt Gold nicht wirklich zum Zug, wenn es um Sicherheiten der Banken geht. Kurzfristig wird uns also die US-Dollar-Bewertung nicht viel über den Goldpreis verraten.

 

  • Der Krieg in der Ukraine: Der Krieg hat sich von einem erwarteten Blitzkrieg mit Kiew als Ziel, zu einem langen, langsamen und gewalttätigen Durchmarsch durch Städte am Asowschen Meer, an der Mündung des Dnjepr und in der Donbass-Region entlang der Linie von Charkiw zur Krim entwickelt.


Es ist schwierig, verlässliche Informationen über den Krieg zu erhalten. Dennoch dominiert an den westlichen Märkten die Erwartung daran, dass Russland verliert, die Sanktionen greifen und der Welthandel trotz der unterbrochenen Lieferketten weiterlaufen wird. Diese positiven Aussichten verstärken den Gegenwind für Gold.

 

  • Die Weltwirtschaft: Auch hier gibt es nicht nur gute Nachrichten, aber sie sind offenbar nicht schlecht genug, um den Goldpreis in die Höhe zu treiben. Die Prognose der Atlanta Fed für das Wirtschaftswachstum in den USA im zweiten Quartal liegt bei 2,5 % auf Jahresbasis. Offizielle Zahlen werden wir erst Ende Juli erhalten. Dennoch gleicht dieser prognostizierte Anstieg das negative Wachstum von 1,4 % im ersten Quartal aus und deutet darauf hin, dass die USA eine Rezession vorerst knapp vermeiden können.

 

In China, Japan, dem Vereinigten Königreich und der EU verlangsamt sich das Wachstum hingegen spürbar. Den Ländern könnte es jedoch gerade so gelingen, eine globale Rezession zu vermeiden. Diese wirtschaftliche Verlangsamungsphase ist in den Märkten bereits eingepreist, sodass die Entwicklung den Goldpreis nicht wesentlich beeinflussen dürfte.

Das ist also die Zusammenfassung. Die Trends bei den Zinssätzen und der Inflation sind ein leichter Gegenwind. Der US-Dollar ist nicht sehr relevant, da er von exogenen Kräften angetrieben wird, die nichts mit Gold zu tun haben. Sowohl der Krieg als auch die Weltwirtschaft sind neutrale Faktoren, da sie zwar in mancher Hinsicht eine Herausforderung darstellen, aber nicht außer Kontrolle geraten und in den Goldmärkten bereits eingepreist sind.

Gibt es etwas, das den Goldpreis in den kommenden Monaten in die Höhe treiben wird? Ja. Der Treiber ist die Wahrscheinlichkeit, dass jede der oben genannten Prognosen völlig falsch ist.

Alle oben genannten Faktoren sind eng miteinander verwoben. Zinssätze, Inflation, US-Dollar, der Krieg und die Weltwirtschaft bewegen sich nicht isoliert voneinander – sie alle beeinflussen sich gegenseitig. Wir gehen davon aus, dass sich die Ereignisse in der realen Welt folgendermaßen abspielen werden:

Die Zinssätze werden steigen, aber es ist nicht sicher, dass die Inflation auch nur annähernd so stark zurückgehen wird, wie prognostiziert. Selbst wenn sich die Energie- und Spritpreise wieder einpendeln, steigen die Immobilienpreise und die Lebensmittelpreise weiter an. Außerdem beginnen die langlebigen Konsumgüter zu steigen. Es besteht die ernst zu nehmende Gefahr, dass sich die (von der Angebotsseite ausgehende) kostentreibende Inflation in eine (von den Arbeitnehmern und Verbrauchern ausgehende) nachfrageseitige Inflation verwandelt.

In diesem Fall werden die realen Zinssätze stark negativ bleiben. Die US-Notenbank Fed wird nicht in der Lage sein, die Zinssätze schnell genug anzuheben, um die Inflation zu dämpfen, ohne eine Rezession auszulösen.

Der US-Dollar mag im Moment der König der Währungen sein, aber er verliert gegenüber Rohstoffen auf ganzer Linie. Länder wie Russland, China, Indien, Brasilien, die Türkei, Saudi-Arabien und viele weitere haben ernsthafte Intentionen, den US-Dollar als Zahlungswährung (wenn auch noch nicht als Reservewährung) zu ersetzen, um künftige US-Sanktionen über das Zahlungssystem zu vermeiden.

Dieser Vertrauensverlust in den US-Dollar ist so groß wie seit den 1970er-Jahren nicht mehr und wird sich ähnlich auswirken – in Form von wesentlich höheren Dollarpreisen für Gold.

Was den Krieg anbelangt, so gewinnt Russland – und die Sanktionen zeigen keine Wirkung. Das werden Sie in den Mainstream-Medien oder aus dem Weißen Haus nicht hören, aber die Fakten stützen diese Schlussfolgerung. Russland hat sich fast ein Drittel der Ukraine gesichert, darunter den Donbass, die Krim, die Küste des Asowschen Meeres und Cherson. Aktuell ist Odessa im Visier.

Die ukrainischen Streitkräfte werden stark dezimiert und sind größtenteils eingekesselt. US-Waffen nützen nichts, wenn sie es nicht bis zum Schlachtfeld schaffen oder wenn es niemanden gibt, der sie einsetzen kann, wenn sie doch ankommen.

Die Sanktionen haben vor allem Putin bereichert, weil er immer noch höhere Dollarpreise für Öl und Erdgas kassiert. Die Beschlagnahmung von Oligarcheneigentum gleicht einem Gefallen für Putin, denn er verabscheut die Oligarchen und lässt die USA gern seine Drecksarbeit machen.

Die wirklichen Auswirkungen der Sanktionen werden den Westen treffen und erst in diesem Herbst zu spüren sein, wenn die Getreideexporte ausbleiben, die Verknappung strategischer Metalle die Fabriken zum Stillstand bringt und Millionen Menschen zu hungern beginnen.

Schließlich steuert die Weltwirtschaft auf eine globale Rezession zu. Die Lockdowns in China haben 50 Millionen Menschen in Shanghai und Peking bewegungsunfähig gemacht. Die chinesischen Exporte gehen nicht nur wegen der Lockdowns zurück, sondern auch wegen der Auslandsnachfrage, die momentan einbricht. Europa steht vor Energieengpässen, wenn es seine Pläne, keine Energie mehr aus Russland zu importieren, weiterverfolgt.

Die US-Wirtschaft wird rasant schrumpfen, da die Verbraucher mehr für Benzin und damit weniger für alles andere ausgeben. Diese Aussichten sind ein Rezept für Stagflation – schwaches Wachstum gepaart mit hohen Inflationsraten.

Als dies in den 1970er-Jahren geschah, stieg der Goldpreis in weniger als neun Jahren um 2.100 %. Dafür sollten Sie sich bereit machen.