Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

was ist auf dem Goldmarkt los? Warum steht der Goldpreis nicht viel höher? Als Autor des Bestsellers „The New Case for Gold“ werden mir diese Fragen häufig gestellt. Lassen Sie uns den Sachverhalt betrachten.

Die Welt hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. Wir haben die schlimmste Pandemie seit 1918 erlebt, die drittschlimmste in der Weltgeschichte. Die globalen Lieferketten sind in der Folge zusammengebrochen. Die Inflationsraten sind so hoch, wie wir sie seit den frühen 1980er-Jahren nicht mehr gesehen haben. Europa erlebt den schlimmsten Krieg seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Der Krieg in der Ukraine hat einen Finanz- und Wirtschaftskrieg zwischen den USA, Großbritannien, der EU und Russland ausgelöst, der extreme Finanzsanktionen beinhaltet. Dazu zählt unter anderem die Beschlagnahmung der Reserven der russischen Zentralbank. Der Wirtschaftskrieg und die damit verbundenen Sanktionen haben die gestörten globalen Lieferketten zusätzlich beeinträchtigt.

Außerdem verfolgt China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, eine hoffnungslose und fehlgeleitete Zero-Covid-Politik, die 50 Millionen Menschen in Shanghai und Peking für den Großteil der letzten zwei Monate in ihren Wohnungen verharren ließ. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen.

Wenn Gold der ultimative sichere Hafen für Anleger ist und die Welt solchen Unsicherheiten ausgesetzt ist, dann muss der Goldpreis doch in die Höhe schießen, oder?

Gold hat seinen Glanz verloren

Das ist nicht der Fall. Der Goldpreis notiert aktuell bei etwa 1.844 USD pro Unze und damit mehr als 10 % unter dem Allzeithoch von 2.069 USD, das am 6. August 2020 markiert wurde sowie dem Zwischenhoch von 2.043 USD vom 8. März dieses Jahres.

Unterm Strich notiert der Goldpreis heute niedriger als noch vor zwei Jahren. Am 22. Juli 2020 lag der Goldpreis bei 1.870 USD und heute, fast zwei Jahre später, liegt er bei 1.844 USD. Während dieser Zeitspanne gab es einige Höhen und Tiefen, darunter zwei Höchststände über 2.000 USD und mehrere Kursrückschläge bis in den Bereich von 1.680 USD. Es folgte jedoch immer eine Rückkehr zu einer anhaltenden zentralen Tendenz, die sich nicht viel bewegt hat.

Damit sind wir wieder bei der ursprünglichen Frage angelangt: Warum steigt der Goldpreis angesichts Inflation, Ressourcenengpässen und Krieg nicht über die Marke von 2.000 USD pro Unze oder sogar über 3.000 USD und mehr?

Gold sollte steigen

Die Bedingungen hinsichtlich Angebot und Nachfrage begünstigen höhere Goldpreise. Die weltweite Goldproduktion ist in den letzten sechs Jahren ziemlich konstant geblieben. Im selben Sechsjahreszeitraum haben die Zentralbanken ihre offiziellen Goldbestände um 6 % erhöht.

China hat in den letzten zwölf Jahren 1.400 metrische Tonnen Gold erworben (das ist die offizielle Zahl – inoffiziell besitzt das Land wahrscheinlich weit mehr). Russland hat im gleichen Zeitraum 1.500 Tonnen erworben.

Weitere große Abnehmer sind Polen, die Türkei, der Iran, Kasachstan, Japan, Vietnam und Mexiko. Mittlerweile kaufen auch die Zentralbanken der Visegard-Gruppe (Tschechische Republik, Ungarn, Polen und Slowakei) Gold hinzu.

Merkwürdig ist, dass Privatanleger in den USA Gold als Geldwert immer noch gleichgültig gegenüberstehen. Theoretisch sind die Zentralbanken am besten über den tatsächlichen Zustand des globalen Währungssystems informiert. Wenn die Zentralbanken mit harter Währung (Dollar oder Euro) so viel Gold kaufen, wie sie bekommen können, dann ist nicht wirklich ersichtlich, worauf die Kleinanleger warten.

Natürlich machen die Bestände der Zentralbanken nur etwa 17,5 % des gesamten oberirdischen Goldes aus. Die Nachfrage von Anlegern nach Goldbarren und Schmuck ist weitaus größer. Dennoch sind die Zentralbanken wohl die kenntnisreichsten Marktteilnehmer und somit ist ihr stetiger Anstieg der Goldbestände bedeutsam.

Der Goldpreis ist an die Zinssätze gekoppelt

Die Zinssätze werden für die Entwicklung des Goldpreises ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Die starken Schwankungen des Goldpreises in den letzten zwei Jahren sind unter anderem auf die Entwicklung der Zinssätze zurückzuführen. Die Korrelation ist nicht perfekt, aber sie ist stark.

Der Anstieg des Goldpreises Ende 2020 war ein Resultat der sinkenden Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe, die von 1,930 % am 19. Dezember 2019 auf 0,508 % am 31. Juli 2020 zurückging. Ähnlich ist der Rückgang des Goldpreises ab Februar 2021 zu erklären. Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe stieg von 1,039 % am 2. Januar 2021 auf 3,130 % am 2. Mai 2022.

Ich bin jedoch der Meinung, dass die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe aufgrund der globalen wirtschaftlichen Schwächephase erneut fallen wird. Das ist eine gute Nachricht für Goldanleger. Die kurzfristigen Zinssätze steigen wegen der Geldpolitik der Notenbanken, aber die langfristigen Zinssätze werden sinken, sobald die globale Konjunktur von der bevorstehenden Rezession getroffen wird. Das wiederum dürfte zu höheren Goldpreisen führen.

Die Bedingungen hinsichtlich Angebot und Nachfrage sind zwar günstig für Gold sowie das allgemeine Zinsumfeld, aber keiner der beiden Faktoren scheint die nötige Triebkraft zu besitzen, um den Goldpreis kurzfristig über die Marke von 2.000 USD zu schieben. Wo liegt das Problem?

Schauen Sie auf den US-Dollar

Der tatsächliche Gegenwind für die Entwicklung des Goldpreises lässt sich in einem starken US-Dollar finden. Da Gold in US-Dollar notiert, spiegelt der Goldpreis diese Stärke in konträrer Form wider. Ein schwacher US-Dollar bedeutet einen höheren Dollarpreis für Gold. Ein starker US-Dollar bedeutet einen niedrigeren Dollarpreis für Gold.

Das Außergewöhnliche in den letzten zwei Jahren ist nicht, dass der Goldpreis nicht gestiegen ist, sondern dass er sich angesichts der anhaltenden Stärke des US-Dollars so gut gehalten hat. Das führt zu der nächsten Frage: Was steckt hinter dem starken US-Dollar und was könnte dazu führen, dass der US-Dollar plötzlich schwächer wird und den Goldpreis ansteigen lässt?

Der starke US-Dollar ist auf die Nachfrage nach auf US-Dollar lautenden Sicherheiten zurückzuführen, vor allem auf US-Staatsanleihen, die als Sicherheiten in den Bankbilanzen und in den Derivatpositionen der Hedgefonds benötigt werden. Diese hochwertigen Sicherheiten sind knapp. Da die Banken um die knappen Sicherheiten ringen, benötigen sie US-Dollar, um die US-Staatsanleihen zu bezahlen. Das heizt die Dollarnachfrage an.

Das Gerangel um Sicherheiten spricht auch für ein schwächeres Wirtschaftswachstum, die Angst vor Zahlungsausfällen, die sinkende Kreditwürdigkeit von Kreditnehmern und die Angst vor einer globalen Liquiditätskrise.

Wenn das schwache Wachstum in eine globale Rezession umschlägt, wird eine neue Finanzpanik drohen. An diesem Punkt könnte das Image des US-Dollars als sicherer Hafen beginnen zu bröckeln. Angesichts der aggressiven Sanktionen seitens der USA und den Bestrebungen großer Volkswirtschaften wie China, Russland, der Türkei und Indien, sich von dem US-Dollarsystem zu lösen, hat der Imageverlust wahrscheinlich schon begonnen.

Wenn die Finanzpanik ausbricht und der US-Dollar als nicht mehr zuverlässig gilt, wird sich die Welt Gold zuwenden. Die Frustration über die Seitwärtsbewegung des Goldpreises ist verständlich. Doch hinter dem Vorhang braut sich eine neue Liquiditätskrise zusammen.

Anleger sollten die heutigen Goldpreise als Geschenk und vielleicht als letzte Chance betrachten, Gold zu diesen Preisen zu erwerben, bevor der eigentliche Ansturm auf das Edelmetall beginnt.

Gold ist im Moment so billig, dass es praktisch ein Schnäppchen ist.