Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

hier kommt die gute Nachricht: Der Aktienmarkt scheint seinen Ausverkauf gestoppt zu haben – vorerst. Die US-Indizes konnten zuletzt sogar leichte Zugewinne verzeichnen. Dennoch rutschte der S&P 500 in den Bereich eines Bärenmarktes ab, was für die Wirtschaft nichts Gutes verheißt. Seit 1970 ist die Wirtschaft jedes Mal in eine Rezession gerutscht, wenn der Aktienmarkt in einem Zeitraum von vier Monaten um 18 % oder mehr gefallen ist. Genau das haben wir erlebt.

Dennoch konnte man im Fernsehen hören, wie eine angesehene Wirtschaftsjournalistin ihren Gast nach „grünen Trieben“ fragte. Ich bin vor Lachen fast von meinem Stuhl gefallen. Diese Leute lernen es nie. „Grüne Triebe“ war die allgegenwärtige Phrase, die von Vertretern des Weißen Hauses und Fernsehsprechern im Jahr 2009 verwendet wurde, um zu beschreiben, wie die US-Wirtschaft nach der globalen Finanzkrise von 2008 wieder zum Leben erwachte.

Das Problem war, dass wir keine grünen Triebe, sondern braunes Unkraut erhielten.

Falsche Hoffnung

Die Wirtschaft erholte sich zwar, aber es war die langsamste Erholung in der Geschichte der USA. Nachdem die Theorie der grünen Triebe diskreditiert worden war, versprach Finanzminister Tim Geithner für 2010 einen „Erholungssommer“. Auch das geschah nicht.

Der Aufschwung setzte sich zwar fort, aber es dauerte Jahre bis der Aktienmarkt wieder die Höchststände von 2017 erreichte und noch länger bis die Arbeitslosigkeit auf ein Niveau sank, das als nahezu Vollbeschäftigung angesehen werden kann.

Nach der Pandemie im Jahr 2020 und dem daraus resultierenden Markteinbruch waren dieselben Stimmen wieder am Werk. Das Weiße Haus sprach von einer „aufgestauten Nachfrage“ als die Wirtschaft wieder ansprang und die Verbraucher in die Geschäfte und Restaurants strömten, um die während der Schließungen aufgeschobenen Ausgaben nachzuholen.

Diese Theorie der „aufgestauten Nachfrage“ war ebenso eine Fata Morgana wie jene der grünen Triebe. Jetzt, wo die Inflation in die Höhe schießt und die globalen Lieferketten unterbrochen sind, stehen wir am Rande einer Rezession.

Die Geldpolitik wird uns nicht helfen, denn die US-Notenbank Fed hat trotz ihrer jüngsten Zinserhöhungen im Grunde kein trockenes Pulver mehr. Es gibt einfach nicht genug Spielraum, um die Zinsen zu senken. Die Zinserhöhungen werden der ohnehin schon schwächelnden US-Wirtschaft nur schaden und den Aktienmarkt weiter nach unten ziehen.

Geldumlaufgeschwindigkeit sinkt seit 20 Jahren

Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, das bedeutet die Geschwindigkeit mit der das Geld den Besitzer wechselt, ist in den letzten 20 Jahren immer weiter gesunken. Von ihrem Höchststand bei 2,2 im Jahr 1997 (jeder US-Dollar trug 2,20 US-Dollar zum nominalen BIP bei) fiel sie 2006, kurz vor der globalen Finanzkrise, auf 2,0 und stürzte dann Mitte 2009, als die Krise ihren Höhepunkt erreichte, auf 1,7 ab.

Der Absturz der Umlaufgeschwindigkeit endete nicht mit dem Börsencrash. Trotz der Gelddruck- und Nullzinspolitik der Fed (2008-15) fiel sie bis Ende 2017 weiter auf 1,43. Noch vor der Pandemie notierte die Umlaufgeschwindigkeit Anfang 2020 bei 1,37.

Es ist zu erwarten, dass sie noch weiter fallen wird, wenn die neue Depression anhält. Wenn die Umlaufgeschwindigkeit sinkt, schrumpft die Wirtschaft. Es gibt also kein Wirtschaftswachstum ohne eine hohe Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.

In den letzten zwei Monaten ist die Geldumlaufgeschwindigkeit praktisch zum Stillstand gekommen. Unterm Strich kann die Geldpolitik nur sehr wenig zur Ankurbelung der Wirtschaft beitragen, wenn die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nicht steigt. Und die Aussichten, dass dies geschieht, sind im Moment nicht sehr gut.

Aber was ist mit der Fiskalpolitik? Kann diese dazu beitragen, die Wirtschaft aus der Depression zu führen? Werfen wir einen Blick darauf.

Gesättigt mit Schulden

Wir haben in den letzten paar Jahren mehr Defizitausgaben gesehen als in den vorherigen Jahrzehnten. Die US-Regierung hat in den letzten Jahren mehr Staatsschulden angehäuft als alle Präsidenten von George Washington bis Bill Clinton zusammen.

Durch die zusätzlichen Schulden ist die Schuldenquote der USA auf etwa 125 % des BIP gestiegen. Das ist der höchste Wert in der Geschichte der USA und hebt die USA in dieselbe Liga der Superschuldner wie Japan, Griechenland, Italien und Libanon.

Die Idee, dass Defizitausgaben eine ansonsten ins Stocken geratene Wirtschaft ankurbeln können, geht auf John Maynard Keynes und sein klassisches Werk „The General Theory of Employment, Interest and Money“ (1936) zurück.

Die Idee von Keynes ist ganz einfach. Er sagt, dass jeder US-Dollar an Staatsausgaben mehr als 1 US-Dollar an Wachstum erzeugt. Wenn der Staat Geld ausgibt (oder verschenkt), gibt der Empfänger es für Waren oder Dienstleistungen aus. Diese Anbieter von Waren und Dienstleistungen wiederum bezahlen ihre Großhändler und Lieferanten. Dadurch erhöht sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.

Abhängig von den genauen wirtschaftlichen Bedingungen kann es möglich sein, dass für jeden US-Dollar Defizitausgabe das nominale BIP um 1,30 US-Dollar steigt. Dies war der berühmte keynesianische Multiplikator. Bis zu einem gewissen Grad würde sich das Defizit durch eine höhere Produktion und höhere Steuereinnahmen bezahlt machen.

Hier liegt das Problem: Es gibt Hinweise darauf, dass der keynesianische Multiplikator nicht existiert, wenn die Schuldenquote bereits zu hoch ist.

Mehr US-Dollars, weniger Wachstum

Tatsächlich nähern sich Amerika und die Welt dem, was die Wirtschaftswissenschaftler Carmen Reinhart und Ken Rogoff als einen unbestimmten, aber realen Punkt beschreiben, an dem eine ständig wachsende Schuldenlast die Ablehnung der Gläubiger auslöst und ein Schuldnerland zu Sparmaßnahmen, völliger Zahlungsunfähigkeit oder himmelhohen Zinssätzen zwingt.

Die Untersuchungen von Reinhart und Rogoff zeigen, dass eine Schuldenquote von 90 % des BIP oder mehr nicht nur ein weiterer Schuldenanreiz ist. Vielmehr handelt es sich um das, was Physiker eine kritische Schwelle nennen.

Der erste Effekt ist, dass der keynesianische Multiplikator unter eins fällt. Das bedeutet, dass ein US-Dollar an Schulden und Ausgaben weniger als einen US-Dollar an Wachstum erzeugt. Die Gläubiger werden ängstlich und kaufen weiter Schulden in der vergeblichen Hoffnung, dass die Politik ihren Kurs ändert oder dass das Wachstum spontan einsetzt, um das Verhältnis zu steigern.

Das geschieht aber nicht. Die Gesellschaft ist süchtig nach Schulden und die Sucht frisst den Süchtigen auf. Die Staatsverschuldung beträgt 30,5 Billionen US-Dollar. Eine Verschuldung von 30,5 Billionen US-Dollar wäre kein ernstes Problem, wenn die US-Wirtschaft 50 Billionen US-Dollar groß wäre. Dem ist aber nicht so. Die US-Wirtschaft ist ungefähr 21 Billionen US-Dollar groß, was bedeutet, dass die US-Schulden wesentlich größer sind als die US-Wirtschaft. Hinzukommt, dass die Wirtschaft ist ins Stocken geraten ist.

Der Endpunkt ist ein schneller Zusammenbruch des Vertrauens in die US-Schulden und den US-Dollar. Das bedeutet höhere Zinssätze, um Investorengelder zur weiteren Finanzierung der Defizite anzuziehen.

Japanisch werden

Höhere Zinssätze bedeuten natürlich höhere Defizite, was die Schuldensituation noch verschlimmert. Die Fed könnte die Schulden auch monetarisieren, was einen weiteren Vertrauensverlust zur Folge hätte.

Das Ergebnis sind weitere 20 Jahre langsamen Wachstums, Sparmaßnahmen, finanzielle Repression (bei der die Zinssätze unter der Inflationsrate gehalten werden, um den realen Wert der Schulden allmählich zu tilgen) und ein wachsendes Wohlstandsgefälle.

Die nächsten zwei Jahrzehnte des US-Wirtschaftswachstums würden so aussehen wie die letzten zwei Jahrzehnte in Japan. Kein Zusammenbruch, nur eine langsame, lang anhaltende Stagnation. Das ist die wirtschaftliche Realität, mit der wir konfrontiert sind. Weder die Geldpolitik noch die Fiskalpolitik werden daran etwas ändern können. Erwarten Sie in nächster Zeit nicht allzu viele „grüne Triebe“.