Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

die Aktienmärkte haben sich zuletzt wieder etwas gefangen. Das führt dazu, dass man wieder vermehrt Schlagzeilen lesen wird, die behaupten, dass der Ausverkauf vorbei sei und es Zeit wäre, wieder in den Markt einzusteigen. Ich rate Ihnen, nicht darauf hereinzufallen.

Berücksichtigt man den eingeschlagenen geldpolitischen Weg der US-Notenbank Fed, ist eine weitere Abwärtsbewegung des Marktes unvermeidlich, wenn man sich die historischen Daten ansieht. Der Abverkauf ist noch lang nicht am Ende. Hier ist der Grund dafür: Die Zinserhöhung in der vergangenen Woche war die dritte in Folge. Wenn die Fed die Zinssätze dreimal hintereinander anhebt, wird die Situation am Aktienmarkt normalerweise recht unschön.

Die dritte Zinserhöhung in Folge hat für den Markt eine besondere Bedeutung. Sie ist ein Anzeichen dafür, dass die Fed es ernst mit der Abkühlung der US-Wirtschaft und der Abkehr von ihrer lockeren Geldpolitik meint. In der Folge stürzen die Aktienkurse ab.

Drei Schritte und ein Stolperer

Diese Regel ist an der Wall Street als „Drei Schritte und ein Stolperer“ bekannt. Sie wurde von dem Wirtschaftswissenschaftler Edson Gould in den 1970er-Jahren definiert. Er stellte fest, dass der Aktienmarkt dazu neigt, in den Crash-Modus überzugehen, wenn die US-Notenbank dreimal hintereinander entweder die Zinssätze, die Mindestreserveanforderungen oder die Einschusspflichten anhob.

Laut der gängigen Literatur zu diesem Thema ist dieses Muster jedem einzelnen Crash in der Geschichte vorausgegangen, mit nur zwei möglichen Ausnahmen, über die sich streiten lässt. Der Crash von 1929 kam ein Jahr zu früh und 1978 ein wenig zu spät. Dennoch hat dieser Indikator eine fast 100-prozentige Trefferquote, die bis ins Jahr 1919 zurückreicht.

Das Fazit ist, dass praktisch jedes Mal, wenn die Fed versucht hat, die Zinsen zu erhöhen, der Markt abgestürzt ist. Anleger ignorieren diese Realität auf eigene Gefahr. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass wir zwar einige Erholungen in einem Bärenmarkt erleben können, Anleger aber generell mit einem starken Rückgang des breiten Marktes rechnen müssen.

Auch hier gilt: Lassen Sie sich nicht von der Mainstream-Berichterstattung der „Buy the Dip“-Enthusiasten täuschen oder von denjenigen, die versuchen, einen Tiefpunkt auszurufen.

Die stärkste geldpolitische Straffung seit über 40 Jahren

Die Zinserhöhung in der vergangenen Woche war die erste Erhöhung um 0,75 % seit 1994. Auf der Sitzung in der vergangenen Woche gab Jerome Powell eine Prognose über die wahrscheinlichen Zinserhöhungen für den Rest des Jahres 2022 ab. Er sagte, dass die Anleger mit mindestens drei weiteren Erhöhungen um 0,50 % und einer um 0,25 % rechnen sollten.

Er machte deutlich, dass es sich dabei um die minimal zu erwartenden Erhöhungen handelt und dass die tatsächlichen Erhöhungen bei 0,75 % liegen könnten. Insbesondere sagte Powell, dass eine Erhöhung um 0,75 % auf der Juli-Sitzung durchaus möglich sei.

Nimmt man die von Powell genannten Mindestwerte zusätzlich zu den aktuellen Zinssätzen, würde der Zielsatz der Fed Funds bis zum Jahresende bei 3,25 bis 3,5 % liegen. Er könnte aber auch ohne Weiteres bei 4 % oder höher liegen, wenn zwei Erhöhungen um 0,75 % in den Mix einbezogen werden.

Ein Anstieg von 0,0 auf 4 % innerhalb von 10 Monaten von März bis Dezember ist die schnellste Serie von Zinserhöhungen seit den Tagen von Paul Volcker in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren.

Powell sagte auch, dass die Fed die Verringerung ihrer Bilanz (die sogenannte quantitative Straffung, QT) wie angekündigt fortsetzen wird. Die Bilanz wird also weiterhin um 80 Milliarden US-Dollar pro Monat gekürzt oder knapp 1 Billion US-Dollar pro Jahr.

Das ist insofern wichtig, als die Auswirkungen dieser Reduzierung auf die Wirtschaft einer weiteren Zinserhöhung um 1 % entsprechen. Rechnet man diese QT zu den projizierten Zinserhöhungen hinzu, so bedeutet dies, dass die geldpolitische Straffung in 10 Monaten zu einer Zinserhöhung von fast 5 % führen wird. Das entspricht dem stärksten Zinsanstieg seit den 1980er-Jahren.

Steigende Zinssätze sind schlecht für Gold, oder? Nicht so schnell!

Gold: Einäugiger Mann in einem Königreich der Blinden

Gold ist innerhalb eines Monats um 3,8 % gestiegen, während Aktien im gleichen Zeitraum fielen, die Anleihekurse zurückgingen und die Immobilienpreise ihren Zenit überschritten. Der Grund für diesen Anstieg lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Inflation. Die etwas längere Erklärung ist, dass die realen Zinssätze fielen. Da die Inflation der Grund für den Rückgang der Realzinsen war, laufen beide Ansätze unter den gegebenen Umständen auf dasselbe hinaus.

Die unmittelbare Reaktion auf diese Erklärung könnte auf Verwirrung stoßen, denn die Fed hebt die kurzfristigen Zinssätze aggressiv an und beginnt mit der geldpolitischen Straffung. Auch die mittelfristigen Zinssätze steigen deutlich an. Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe stieg von 2,75 % am 30. Mai auf aktuell 3,3 %. Auch wenn dieser Anstieg nicht gravierend aussieht, so handelt es sich im Reich der Anleihen um eine massive Disruption.

Wenn also sowohl die kurzfristigen als auch die mittelfristigen Zinssätze steil ansteigen, wie kann es dann sein, dass die Realzinsen sinken? Auch hier lautet die Antwort Inflation.

Werden Sie realistisch

Alle oben beschriebenen Zinssätze sind nominal. Es sind die tatsächlichen Zinssätze, die Sie auf Ihren Handelsbildschirmen sehen oder über die Sie im Fernsehen hören. Sie haben eine gewisse Aussagekraft, zeigen aber nur die halbe Wahrheit.

Um die realen Zinssätze zu berechnen, subtrahieren Sie von den nominalen Zinssätzen die Inflation. Genau hier wird es interessant. Der Verbraucherpreisindex (VPI) ist im Mai im Jahresvergleich um 8,6 % gestiegen, so stark wie seit Dezember 1981 nicht mehr. Da der Zinssatz der Fed aktuell bei 1,75 % liegt, beträgt der reale kurzfristige Zinssatz −6,85 %. Bei einer Rendite von 3,3 % für zehnjährige US-Staatsanleihen liegt der reale Zinssatz bei −5,3 %.

Wenn also hohe Inflationsraten von niedrigen Nominalzinsen abgezogen werden, ergeben sich stark negative Realzinsen. Das ist ein ideales Umfeld für Gold. Wenn man Gold als Geldwert betrachtet (wie ich es tue), dann geht die Preisanalyse schnell zu konkurrierenden Geldformen über.

Geld soll keine Rendite bieten

Gold erwirtschaftet keine Rendite. Das soll es auch nicht, denn es ist die reinste Form von Geld: eine Art, die immer akzeptiert wird und immer gefragt ist, aber nicht von einer Bank oder einem Makler ausgegeben wird. Auch ein Dollarschein bietet keine Rendite. Wenn andere Geldformen hohe reale Renditen aufweisen, hat es Gold schwer, es sei denn, es wird als Versicherung oder sicherer Hafen gehalten.

Aber wenn andere Geldformen stark negative Realrenditen aufweisen (wie es momentan der Fall ist), glänzt Gold. Und Gold kann sogar noch besser abschneiden, wenn der Aspekt des sicheren Hafens mit einer Hochinflationsphase einhergeht, die zu negativen Realrenditen führt.

Die Inflation und die daraus resultierenden negativen Realrenditen sind also zumindest ein Teil der Erklärung für den jüngsten Anstieg beim Goldpreis. Die letzte Frage ist, ob diese Bedingungen lange genug anhalten werden, um die Erholung des Goldpreises aufrechtzuerhalten und möglicherweise eine neue Untergrenze für den Goldpreis bei oder über 1.900 USD pro Unze zu etablieren.

Verriegeln Sie die Tür

Die Antwort lautet: Ja. Die Inflation könnte in den kommenden Monaten etwas zurückgehen und die Zinssätze werden (zumindest kurzfristig) weiter ansteigen. Aber selbst wenn die Inflation auf 6 % sinken würde (was nicht einfach ist), wäre der reale kurzfristige Zinssatz immer noch deutlich negativ. Das macht Gold mit seinem Realzins von 0,0 % sehr attraktiv.

Hierbei handelt es sich natürlich um das günstigste Szenario für die Fed und die Entwicklung der Inflation. Ein anderes Szenario besagt, dass die Inflation noch weiter außer Kontrolle geraten könnte und die Fed Schwierigkeiten haben könnte, den Rückstand aufzuholen, sodass die realen Zinssätze noch negativer werden, als sie es bereits sind. In diesem Fall wäre die Marke von 2.000 USD pro Unze nur noch im Rückspiegel zu sehen.