Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

wie schlecht war das erste Halbjahr 2022 für Aktien? Es war das schlechteste erste Halbjahr seit 1970, also lange bevor viele der heutigen Anleger überhaupt geboren waren. In den ersten sechs Monaten fiel der S&P 500 um 21 %, der Dow Jones um 15 % und der Nasdaq Composite um 30 %. Das hat Bärenmarktniveau bei zwei der drei großen Indizes. Einzig der Dow Jones befindet sich noch im Korrekturbereich, wobei nicht mehr viel für einen Bärenmarkt fehlt.

Diese schlechten Aktienmarktergebnisse gehen einher mit höheren Zinsen, höherer Inflation und deutlich höheren Ölpreisen. Wenn Sie in irgendeiner Weise am Aktienmarkt engagiert sind, dann haben Sie das Tal der Tränen in diesem Jahr am eigenen Leib durchgemacht. Wie geht es jetzt weiter? Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, eine historische Perspektive einzunehmen.

Licht am Ende des Tunnels oder doch nur die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Zugs?

Die erste Jahreshälfte ist nicht immer ein Vorbote für die zweite Jahreshälfte. Im Jahr 1970 drehte der Markt in der zweiten Hälfte und begann mit der Kurserholung. Das gibt Anlass zur Hoffnung für die zweite Jahreshälfte. Das ist also die gute Nachricht. Dennoch war 1970 der Beginn eines turbulenten Jahrzehnts. Es gab einen weiteren großen Börsencrash im Jahr 1974 und einen weiteren im Jahr 1981. Das ist die schlechte Nachricht.

In nur sieben Jahren gab es drei Rezessionen (1974, 1980 und 1981). Außerdem war es das Jahrzehnt, in dem die Inflation außer Kontrolle geriet und bis auf 13,5 % im Jahr 1980 anstieg. 1977 mussten die USA sogar auf Schweizer Franken lautende Staatsanleihen ausgeben, weil der Dollar so schwach war, dass ihn niemand haben wollte. So schlimm kann es werden und es kann fast über Nacht geschehen.

Im Moment sind die Aussichten für die zweite Hälfte des Jahres 2022 noch schlechter als die erste Hälfte.

Der Gegenwind nimmt zu

Die Vereinigten Staaten befinden sich mittlerweile in einer Rezession. Das US-BIP ist im ersten Quartal um 1,6 % (annualisiert) gesunken, und die BIP-Prognose der Atlanta Fed für das zweite Quartal zeigt einen Rückgang um 1,2 %. Sollte diese Zahl für das zweite Quartal zutreffen (die offiziellen Daten werden erst Ende Juli vorliegen), würde dies der technischen Definition einer Rezession entsprechen, die zwei aufeinander folgende Quartale mit rückläufigem BIP umfasst.

Inzwischen liegt die Inflation im Jahresvergleich bei 8,6 %. Die US-Notenbank Fed hat die Zinssätze seit März von 0,0 % auf 1,50 % angehoben und ist auf dem besten Weg, die Zinssätze bis September auf 2,75 % zu erhöhen, mit weiteren Zinserhöhungen im November und Dezember. Das entspricht dem schnellste Tempo von Zinserhöhungen seit Paul Volcker in den frühen 1980er Jahren. Jedoch hinkt die Fed trotz dieser Zinserhöhungen weiter hinterher.

Die Fed will die Inflation stoppen, aber der Weg dorthin führt über die Zerstörung der Nachfrage. Das wird die Rezession noch schlimmer machen. Trotz der Bemühungen könnte es der Fed nicht gelingen die Inflation zu stoppen, selbst wenn sie eine tiefe Rezession verursacht. Das liegt daran, dass die Inflation von der Angebotsseite ausgeht und nicht von der Nachfrageseite.

Die Störungen in den Lieferketten werden immer schlimmer. Das liegt sowohl an den ständigen Lockdowns in China als auch an den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Lebensmittel- und Energieexporte. Beide Phänomene werden nicht so schnell vorbei sein. Die Rohstoffknappheit wird schnell zu Lebensmittelknappheit und leeren Regalen in den Supermärkten führen.

Die machtlose US-Notenbank

Die Fed kann weder unterbrochenen Lieferketten reparieren, noch kann sie die Energieproduktion ankurbeln oder Getreide anbauen, entsprechend machtlos ist sie mit ihrer Geldpolitik. Die Fed kann die Lage jedoch verschlimmern, indem sie die Geldpolitik in eine wirtschaftliche Schwächephase hinein strafft, wie sie es aktuell macht.

Ich habe die Sanktionen angesprochen. Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben sich insgesamt als Fehlschlag erwiesen und schaden den USA sowie Europa weitaus mehr als sie Russland schaden. Der wirtschaftliche Schaden für die US-Wirtschaft wird noch viel schlimmer werden, bevor sich die Wirtschaft erholen wird. Biden wird die Sanktionen nicht so schnell stoppen. Das bedeutet, dass die Zerstörung der US-Wirtschaft weitergehen wird.

Zu diesem fundamentalen Gegenwind kommt noch hinzu, dass möglicherweise eine neue globale Liquiditätskrise im Gange ist, wie die inversen Renditekurven der Staatsanleihen zeigen. Dies hat mit dem starken Dollar und einer Dollarknappheit zu tun.

Heute stark, morgen schwach

Ich habe bereits erwähnt, dass der Dollar in den späten 1970er Jahren so schwach war, dass die US-Regierung auf Schweizer Franken lautende Staatsanleihen ausgeben musste. Ich erwarte, dass der Dollar im Laufe des nächsten Jahrzehnts international zusammenbrechen wird. Das ist eine langfristige Prognose. Im Moment ist der Dollar im Vergleich zu seinen globalen Gegenspielern stark. Und das ist ein Problem.

Sie fragen sich vielleicht, wie es zu einer Dollarknappheit kommen kann, wenn 9 Billionen Dollar an Basisgeld im Umlauf sind. Wie ich kürzlich erläutert habe, ist dieser Betrag im Vergleich zur Verschuldung in den Bankbilanzen unbedeutend. Wir sprechen hier von dreistelligen Billionenbeträgen in den Bankbilanzen, die allesamt fremdfinanzierten Positionen darstellen, die auf Sicherheiten beruhen.

Bildlich gesprochen, gibt es also nicht genug Geldscheine für alle. Die Banken sind verzweifelt auf der Suche nach diesen Sicherheiten. Wenn eine ausländische Bank US-Staatsanleihen kaufen möchte, benötigt diese Dollar für den Erwerb. Die Landeswährung muss also in Dollar getauscht werden, um die US-Staatsanleihen kaufen zu können. Das ist es, was die Nachfrage nach Dollar antreibt und den Dollar stärkt. Dass das Ganze völlig künstlich und unhaltbar ist, steht auf einem anderen Blatt.

Hinter den Kulissen herrscht ein wahnsinniges Gerangel um Dollar, um hochwertige Dollar-Sicherheiten wie US-Staatsanleihen zu kaufen und die gehebelten Bilanzpositionen zu besichern.

Nochmal das Jahr 2008, nur schlimmer

Das Gedränge um Sicherheiten ist auch Ausdruck eines schwächeren Wirtschaftswachstums, der Angst vor Zahlungsausfällen, der sinkenden Kreditwürdigkeit von Kreditnehmern und der Angst vor einer globalen Liquiditätskrise. So weit sind wir noch nicht, aber wir nähern uns dem Ziel, ohne dass eine Entspannung in Sicht ist.Banken könnten anfangen auszufallen, was zu einem Bank Run führen würde. Das könnte eine Wiederholung von 2008 sein, nur noch schlimmer.

Die gute Nachricht ist also, dass wir eine Antwort auf die Frage haben, wie es jetzt weitergeht. Die schlechte Nachricht ist, dass es kein schöner Ausblick ist. Der Zeitpunkt einer Finanzkrise ist immer ungewiss, aber die Wahrscheinlichkeit einer Krise ist hoch. Jeden Tag gibt es neue Anzeichen für Liquiditätsstress und kein Anleger sollte überrascht sein, wenn die Krise eher früher als später eintritt.

Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Anleger hoffen, dass die zweite Jahreshälfte 2022 den bisher erlittenen Schaden rückgängig machen wird. Die harten Daten zu Zinssätzen, Inflation und Lieferketten sprechen dagegen. Schnallen Sie sich also an, es könnte eine holprige Fahrt werden.