Liebe Börsianerinnen, liebe Börsianer,

am Euro-Markt geht nach den massiven Zinsschritten der Fed nun eine Angst um. Die EZB folgt dem Vorbild der US-Währungshüter und würgt den ohnehin angegriffenen europäischen Aktienmarkt völlig ab. Bekanntlich scheut der Börsianer den steigenden Zins wie der Teufel das Weihwasser.

Auch in meiner Branche geht einigen Leuten mächtig die Düse. So schrieb der Vermögensverwalter Flossbach von Storch zuletzt auf ellenlangen Seiten in seinem Kundenmagazin, dass und warum die Zinsen in der Euro-Zone gar nicht steigen können. Die Argumentation der Herren Flossbach und von Storch lässt sich auf einen Kernsatz herunterbrechen: Wenn die Zinsen steigen, geht Italien insolvent. Und im Hintergrund wabert dann stets die Sorge im Raum, dass der Euro kippt. Und das wird die EZB kaum wollen, oder?

Erst in der letzten Woche stieß der n-tv-Moderator Raimund Brichta in seinem Facebook-Kanal ins gleiche Horn. Ich formuliere hart: Die Argumentation meiner Kollegen ist an Plattheit kaum zu überbieten. Hier regiert das pure Wunschdenken.

Verfolgt man diese Argumentation und diverse Medienberichte zur Zinsthematik, gewinnt man unweigerlich den Eindruck, die Euro-Zone besteht nur aus Italien, Griechenland und Portugal. Folglich hat die EZB keine andere Aufgabe, als diesen Staaten bei der Finanzierung ihres Haushaltes unter die Arme zu greifen.

Die Realitäten sind freilich ganz andere: Die Euro-Zone ist nicht nur Mittelmeer-Raum, und die Mehrheit der Euro-Mitglieder hat keine echten Probleme der Haushaltsfinanzierung, sondern ein ganz handfestes Inflationsproblem. So müssen die Verbraucher im Baltikum aktuell mit Teuerungsraten von rund 20 % umgehen. Die Benelux-Staaten habe sich im Juni mit rund 10 % Teuerung herumgequält. Ich habe im EZB-Vertrag keinen Passus entdeckt, der mir sagte, dass die Sorgen der Balten, Niederländer oder Luxemburger weniger schwer wiegen als diejenigen der Griechen oder Italiener. Natürlich muss und wird die EZB die Interessen Nord- und Mitteleuropas berücksichtigen. Und dort will man jetzt eben Zinserhöhungen sehen und also werden diese auch kommen.

Ein Wort zur inner-deutschen Diskussion: Wir jammern bereits seit Jahren, dass unsere Stimme in den Institutionen der EU vermeintlich nicht gehört wird. An den wichtigen Schalthebeln sitzen überall angeblich nur Südeuropäer. Und die Christine Lagarde halt es sowieso eher mit Italien oder Spanien als mit uns. Ich gebe unumwunden zu: In diesen Zeiten der Inflation hätte ich auch lieber einen Niederländer, Österreicher oder Deutschen an der Spitze der EZB.

Dabei vergessen wir manchmal, dass Deutschland für 29 % der Euro-Wirtschaftskraft steht. Wir wiegen so viel wie Franzosen und Spanier gemeinsam. Aber wir sind immer gut beraten, nicht nur einfach unsere schiere Wucht in die Waagschale zu werfen, nach dem Motto: Wer zahlt, schafft an. Die deutsche Politik ist richtigerweise konstruktiv und pro-europäisch. Dennoch werden unsere Sorgen (Inflation: 8,2 %) selbstverständlich in der EZB gehört. Die hat nämlich ihre Niederlassung in Frankfurt, also mitten in Deutschland. So weiß die EZB-Spitze immer genau, wo dem deutschen Michel der Schuh drückt.

Meine Botschaft: Die EZB ist kein Papiertiger, sondern sie wird im Kampf gegen die Inflation angemessen reagieren und die Leitzinsen weiter erhöhen. Die Sorgen der Deutschen, der Balten, Österreicher oder Finnen werden ganz oben in Frankfurt Gehör finden. Italien ist nicht der Nabel der Euro-Zone, Griechenland schon gleich gar nicht.

Natürlich wird die Euro-Zinswende den Aktienmarkt zunächst stören. Die Nachfrage muss runter, und wir müssen durch eine mittelprächtige Rezession. Damit werden wir die beschädigten Lieferketten wieder reparieren und Angebot und Nachfrage wieder in die Balance bringen. Dann wird auch der Euro wieder stabil und kaufkräftig. Und von einer geschrumpften Wirtschaftsbasis aus starten wir dann die nächste Hausse. So war es immer, so wird es immer bleiben.

Lassen Sie sich von den platten Werbebotschaften meiner Branche nicht einlullen! Kommen Sie dahin, wo man Ihnen die Wahrheit sagt! Das wird am Ende des Tages Ihrem Depot mehr helfen als das Wunschdenken vom ewig niedrigen Zins.

Lernen Sie mich jetzt näher kennen, beispielsweise in meinem Börsendienst RENDITE TELEGRAMM!