Lieber Börsianer, 

in Berlin bahnt sich ein gewaltiger Tabubruch an. Man plant dort nichts weniger als eine Teilenteignung großer deutscher Immobilienunternehmen. Anders, so die Initiatoren des entsprechenden Volksbegehrens, könne man die massiven Mietsteigerungen in der Metropole nicht erfolgreich bekämpfen.  

Besonders Fokus steht dabei die Deutsche Wohnen AG, die bundesweit rund 160.000 Wohnungen betreut. Davon befinden sich alleine 112.000 in der Bundeshauptstadt. Ebenfalls betroffen sind Vonovia (44.000 Objekte) und der Grand City Properties, die rund 8.000 Wohnungen in Berlin vermieten. Alle diese Objekte soll nun die Stadt Berlin übernehmen.  

Der Berliner Senat sympathisiert mit diesen Plänen, die eine Initiative namens „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ angestoßen hat. In einer ersten Studie hat man errechnet, dass die Enteignung der Immobilien die Stadt zwischen 28 Milliarden und 36 Milliarden Euro kosten würde. Danach würde die Stadt mit einem Schlag 15 % der Berliner Immobilien kontrollieren.  

Die Macher der Initiative sind da weniger großzügig. Hier hat man errechnet, dass die öffentliche Hand nur knapp 16 Milliarden Euro für die Berliner Objekte aufwenden muss. So soll etwa der Wertzuwachs der Immobilien, der nicht auf Investitionen der Eigentümer beruht, nicht entgolten werden. Außerdem kann die Stadt einen Paketabschlag in Höhe von 10 % auf den Kaufpreis verlangen, so die Initiatoren des Volksbegehrens. 

Sind solche Enteignungen wirklich realistisch? 

Die Börsianer sind natürlich nicht begeistert. So überrascht es nicht, dass sich die Aktien von Deutsche Wohnen und Co. zuletzt von der starken Aufwärtsbewegung des Gesamtmarktes abgekoppelt haben. Man befürchtet natürlich, dass das Beispiel Berlin bundesweit Schule macht. So hat nun die Partei Die Linke für Bremen ähnliche Forderungen aufgestellt. Damit stellt die Berliner Initiative das Geschäftsmodell der deutschen Immobilien-Unternehmen massiv in Frage. Denn wenn die Vermögenswerte dieser Unternehmen verstaatlicht werden, dann können Deutsche Wohnen und Vonovia zusperren. Das ist ganz einfach.  

Gleichwohl möchte ich die emotionale Diskussion an dieser Stelle versachlichen: Grundsätzlich ist eine Enteignung von Immobilien in Deutschland möglich. Dazu führt Artikel 15 des Grundgesetzes aus:  

Grund und Boden können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.  

Dennoch gehe ich davon aus, dass sich die betroffenen Immobilien-Eigentümer mit Händen und Füßen gegen ein entsprechendes Gesetz des Berliner Senats wehren werden. Mit anderen Worten: Die Verfassungsmäßigkeit eines entsprechenden Gesetzes wird mit absoluter Sicherheit letztgültig erst durch das Bundesverfassungsgericht geprüft werden. Bis zu dieser Entscheidung werden allerdings noch viele Monate, vielleicht sogar Jahre ins Land streichen. Mutmaßlich hat sich zu diesem Zeitpunkt die Situation auf dem Wohnungsmarkt deutlich entspannt, sodass die absolute Dringlichkeit für eine solche Maßnahme überhaupt nicht mehr besteht.  

Tatsache ist zudem, dass ein Eigentümerwechsel zwar den Anstieg der Mieten dämpfen kann. Das Grundübel, also den Wohnungsmangel, beseitigt man auf diese Weise allerdings nicht. Damit wäre eine Enteignung ein Schutzprogramm für Altmieter, allerdings eben nicht für die Allgemeinheit. Auch diese Tatsache werden die Richter, wenn es soweit ist, berücksichtigen.  

Wir sollten in dieser Frage auch erst gar nicht die Büchse der Pandora öffnen. Der deutsche Standort braucht viele Dinge, allerdings sicherlich keine Verstaatlichungen in quasi-marxistischem Stil. Das wäre ein großer Rückschritt für die deutsche Aktienkultur.